Hygiene.
454 EDMUND BERNATZIK: Verwaltungsrecht.
Anschein, als ob sie eine radikale Umwälzung in der Stellung der Ärzte, Apo-
theker usw. nach sich ziehen wollte.
Aus allen diesen Elementen ist die Gesundheitspflege der Gegenwart
hervorgewachsen, welche einen der wichtigsten Bestandteile der ganzen Sozial-
politik, ja genau betrachtet, ihren Kernpunkt bildet. Alle Verwaltungsressorts
stehen mit der Gesundheitspflege und der mit ihr untrennbar verbundenen
Gesundheitspolizei in irgendeinem Kontakt, und manche Teile des Verwaltungs-
rechtes, wie das Gewerbe-, Wasser-, Bau-, Schul-, Berg-, Forstrecht sind tief
von ihr beeinflußt worden. Sie drängt uns die Überzeugung von dem inneren
Zusammenhange aller Gebiete der Kulturpflege auf, sie zwingt uns aber auch
die Einsicht in die Solidarität gewisser Interessen der gesamten Bevölke-
rung auf. Wir begreifen heute, daß die Gesundheitspflege nicht bloß den
Interessen der besitzenden Klassen etwa wegen der Seuchengefahr dient,
wir wissen auch, daß sie ebensowenig bloß den Interessen der besitzlosen
Klassen dient, und wir sind uns vollkommen klar darüber, daß sie die
Schlagfertigkeit des Heeres bedingt, daß die Erfolge des Unterrichtswesens
von ihr abhängen, daß ihre Vernachlässigung sich in den Armenlasten, in der
Strafrechtspflege, in der Volkswirtschaftspolitik rächt. Hygiene des sexuellen
Lebens (verbunden mit einer erheblichen Verbesserung der barbarischen Lage
der Frauen der besitzlosen Klassen), Überwachung und Verringerung der
Prostitution, Beschränkung des Alkoholgenusses, naturgemäße Ernährung der
Säuglinge, Erhaltung der Nährfähigkeit der Mütter, Beteilung mit „Still-
prämien‘‘, Kinderpflege, Schulhygiene, Verhinderung gefährlicher und gesund-
heitsschädlicher Arbeitsgelegenheit in der Fabrik, im Gewerbe und in der
Heimarbeit, Verbot gesundheitsschädlicher Wohnungen und Schaffung gün-
stigerer Wohnungsbedingungen und neuerdings auch von Wohnungsgelegen-
heit seitens der Kommunen, Beschaffung von Trinkwasser und Milch, Kontrolle
des Nahrungsmittelverkehrs, Abfuhr der Sink- und Abfallstoffe, Trockenlegung
des Bodens, Reinhaltung der Luft, Anlegung von Parks und Volksgärten,
Einführung kommunaler Schlachthäuser, Regelung des Begräbniswesens, sind
die wichtigsten vorläufigen Ziele der Gesundheitspflege und -polizei. Kein
Zweifel, daß diese das 20. Jahrhundert noch viel weiter in sozialistische Ein-
richtungen hineintreiben werden als bisher geschehen. Denn schlimmer als die
Gesundheitsschädlichkeit der Nahrungsmittel, der Wohnung, der Arbeits-
gelegenheit ist der völlige Mangel derselben, und absurd ist es, notwendigen
Wirkungen steuern zu wollen, ihre Ursachen aber fortbestehen zu lassen.
IX. Die Volkswirtschaftspflege. Und nunmehr wäre zum Schlusse
noch die Stellung des modernen Staates zur Volkswirtschaftspflege zu
überschauen. Auch dieses allerwichtigste Gebiet der Kulturpflege steht mit
den übrigen im innigsten Zusammenhange. Ohne Wohlstand und ohne an-
gemessene Verteilung des Wohlstandes keine Bildung, keine Wissen-
schaft, keine Kunst und keine Technik, keine Gesundheitspflege, ja nicht
cinmal eine höhere Stufe der Sitte und der Religion! Und ohne zielbewußtes