I. Der völkerrechtliche Verband. 3. Die Quellen des Völkerrechts. 477
des internationalen Rechtes, der sich einer so sorgsamen vertragsmäßigen
Pflege erfreute, als gerade diese sprödeste aller Rechtsmaterien. Erst als letzte
Instanz, wenn alle anderen versagen, erscheint heutzutage das gewaltige Gottes-
gericht des Krieges. Im Rechtssinn ist er das von völkerrechtlichen Mächten
mit organisierter Waffengewalt geführte, mit Rechtswirkung für die nicht be-
teiligten Staaten versehene Streitverfahren. Und in keiner Materie bewährt
sich die Positivität des Völkerrechts augenfälliger, eindringlicher, entwickelungs-
fähiger, als im Rechte des Krieges.
3. Die Quellen des Völkerrechts. Wenn es auch bei diesem Zu-
schnitt des Völkerrechts eine internationale Gesetzgebung nicht geben kann,
so wird doch dieser Mangel im Prozeß der Rechtsbildung bis zu einem gewissen
Grad durch Staatsverträge ausgefüllt. Die zahlreichen, Rechtsregeln schaffen-
den Vereinbarungen, durch welche im Laufe der neuesten Zeit der von alters
übernommene Bestand völkerrechtlicher Normen eine ungeahnte Bereiche-
rung erfahren hat, zählen freilich keineswegs sämtliche Glieder der Staatenge-
meinschaft zu ihren Signataren, und ein Rücktritt ist nicht ausgeschlossen.
Sie haben, nicht anders als jeder Staatsvertrag im Grunde doch nur Rechts-
verhältnisse unter den Paziszenten, nicht objektives Recht schaffen können.
Tatsächlich indes tritt diese beschränkte Rechtskraft gänzlich zurück, wenn
die Abrede, wie meist geschieht, von einer großen Zahl von Staaten getroffen
worden ist, ja selbst schon dann, wenn nur die führenden, den Ausschlag geben-
den Mächte sich zu ihr durch Deklaration gemeinsam bekennen. Denn die nicht
um ihre Zustimmung befragten, oder die nicht beigetretenen sind solchenfalls
kaum in der Lage, der Autorität der neuen Regel, zumal wenn sie ein bleibendes
Interesse der Staatengemeinschaft darstellt, sich auf die Dauer wirksam zu
entziehen. Auch zeigt die Geschichte, daß sie leicht zum Rechtsbrauch wird und
damit den Charakter des Herkommens annimmt.
Dieses nun hat als die einzige wahre Quelle des Völkerrechts zu gelten.
Das Völkerrecht lebt in der Übung der sich als völkerrechtliche Personen an-
erkennenden Staatsvölker. Wir verstehen unter dem völkerrechtlichen Her-
kommen das Gewohnheitsrecht im Bereiche des durch die Regierungen ver-
mittelten Staatenverkehrs. Die Merkmale desselben ergeben sich aus allge-
meinen Rechtsgrundsätzen. Demnach gehört zum Erweise einer als rechtlich
bindend zu betrachtenden Usance die innerhalb des internationalen Verbandes
nachweisbare Befolgung einer Regel seitens der Staatsgewalten, sofern sie sich
in der Überzeugung vollzieht, nicht anders zu dürfen, sondern einer rechtlichen
Anforderung zu genügen. Die Erkenntnismittel sind mannigfaltig. Als Prä-
zedenzfälle können dienen Staatsakte aller Art, insbesondere übereinstimmende
Vorschriften der Landesgesetze, gleichmäßige Festsetzungen der Staatsver-
träge, im Einklang stehende Entscheidungen der Gerichtshöfe, oder der mit
internationalen Streitfällen befaßten Schiedsgerichte. Vornehmstes Erkenntnis-
mittel ist die Wissenschaft. Nur beschränkt sich ihre Bedeutung nicht auf
Fixierung und methodische Bearbeitung des überlieferten Stoffes. Vielmehr
Rechtsetzende
Staatsverträge.
Die Präzedenz-
fälle.