Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

I. Der völkerrechtliche Verband. 3. Die Quellen des Völkerrechts. 477 
des internationalen Rechtes, der sich einer so sorgsamen vertragsmäßigen 
Pflege erfreute, als gerade diese sprödeste aller Rechtsmaterien. Erst als letzte 
Instanz, wenn alle anderen versagen, erscheint heutzutage das gewaltige Gottes- 
gericht des Krieges. Im Rechtssinn ist er das von völkerrechtlichen Mächten 
mit organisierter Waffengewalt geführte, mit Rechtswirkung für die nicht be- 
teiligten Staaten versehene Streitverfahren. Und in keiner Materie bewährt 
sich die Positivität des Völkerrechts augenfälliger, eindringlicher, entwickelungs- 
fähiger, als im Rechte des Krieges. 
3. Die Quellen des Völkerrechts. Wenn es auch bei diesem Zu- 
schnitt des Völkerrechts eine internationale Gesetzgebung nicht geben kann, 
so wird doch dieser Mangel im Prozeß der Rechtsbildung bis zu einem gewissen 
Grad durch Staatsverträge ausgefüllt. Die zahlreichen, Rechtsregeln schaffen- 
den Vereinbarungen, durch welche im Laufe der neuesten Zeit der von alters 
übernommene Bestand völkerrechtlicher Normen eine ungeahnte Bereiche- 
rung erfahren hat, zählen freilich keineswegs sämtliche Glieder der Staatenge- 
meinschaft zu ihren Signataren, und ein Rücktritt ist nicht ausgeschlossen. 
Sie haben, nicht anders als jeder Staatsvertrag im Grunde doch nur Rechts- 
verhältnisse unter den Paziszenten, nicht objektives Recht schaffen können. 
Tatsächlich indes tritt diese beschränkte Rechtskraft gänzlich zurück, wenn 
die Abrede, wie meist geschieht, von einer großen Zahl von Staaten getroffen 
worden ist, ja selbst schon dann, wenn nur die führenden, den Ausschlag geben- 
den Mächte sich zu ihr durch Deklaration gemeinsam bekennen. Denn die nicht 
um ihre Zustimmung befragten, oder die nicht beigetretenen sind solchenfalls 
kaum in der Lage, der Autorität der neuen Regel, zumal wenn sie ein bleibendes 
Interesse der Staatengemeinschaft darstellt, sich auf die Dauer wirksam zu 
entziehen. Auch zeigt die Geschichte, daß sie leicht zum Rechtsbrauch wird und 
damit den Charakter des Herkommens annimmt. 
Dieses nun hat als die einzige wahre Quelle des Völkerrechts zu gelten. 
Das Völkerrecht lebt in der Übung der sich als völkerrechtliche Personen an- 
erkennenden Staatsvölker. Wir verstehen unter dem völkerrechtlichen Her- 
kommen das Gewohnheitsrecht im Bereiche des durch die Regierungen ver- 
mittelten Staatenverkehrs. Die Merkmale desselben ergeben sich aus allge- 
meinen Rechtsgrundsätzen. Demnach gehört zum Erweise einer als rechtlich 
bindend zu betrachtenden Usance die innerhalb des internationalen Verbandes 
nachweisbare Befolgung einer Regel seitens der Staatsgewalten, sofern sie sich 
in der Überzeugung vollzieht, nicht anders zu dürfen, sondern einer rechtlichen 
Anforderung zu genügen. Die Erkenntnismittel sind mannigfaltig. Als Prä- 
zedenzfälle können dienen Staatsakte aller Art, insbesondere übereinstimmende 
Vorschriften der Landesgesetze, gleichmäßige Festsetzungen der Staatsver- 
träge, im Einklang stehende Entscheidungen der Gerichtshöfe, oder der mit 
internationalen Streitfällen befaßten Schiedsgerichte. Vornehmstes Erkenntnis- 
mittel ist die Wissenschaft. Nur beschränkt sich ihre Bedeutung nicht auf 
Fixierung und methodische Bearbeitung des überlieferten Stoffes. Vielmehr 
Rechtsetzende 
Staatsverträge. 
Die Präzedenz- 
fälle.
	        
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