II. DieMitglied, d. völkerrechtl. Verbandes. 3. Dereinz. Staat in s.völkerrechtl. Bezieh. 483
den hier waltenden Staat. Und die Antastung dieses seines Territorialrechts
durch Kontrolle, Überwachung, Einmischung, Intervention; nicht minder der
von einer fremden Macht auf seinem Gebiete rechtswidrig vorgenommene
Herrschaftsakt ist ein ihm zugefügtes Unrecht. Die Ausübung der Territorial-
gewalt ist völkerrechtliche Pflicht. Jeder Staat hat Sorge dafür zu tragen,
daß kein Teil seines Gebietes ohne rechtliche Ordnung bleibe. Er haftet für
die in seinem Territorium oder von dort aus schuldhaft von ihm zugelassenen
Rechtsverletzungen, von denen fremde Staaten betroffen werden.
Das Territorium eines Staates umfaßt alle innerhalb seiner Hoheitsgrenzen
belegenen Land- und Wasserflächen nebst deren Akzessionen, mögen sie sich
im privatrechtlichen Eigentum befinden oder herrenlos oder eigentumsunfähig
sein, auch wenn sie räumlich getrennt und staatsrechtlich geschieden sind,
nicht minder den Erdraum und die Luftsäule. Die Grenzen bestehen in intellek-
tuellen Linien, festen oder wandelbaren. Dem Meere gegnüber bildet der Niedrig-
wasserstand die Landesgrenze; der Strand, also auch das Wattenmeer, ist stets
Landgebiet. Bei Gebirgen läuft sie im Zweifel der Wasserscheide entlang. In
den Territorialgewässern des Meeres, in Grenzflüssen und Seen gilt auch heute
noch im Zweifel die Mittellinie als Staatsgrenze. Nur für schiffbare Flüsse ist
es gegen Ende des 18. Jahrhunderts aufgekommen, den Talweg, d.h. die Mitte
des Fahrwassers, als Grenze auf der Wasserfläche vertragsmäßig festzustellen.
Jedem Staat schreibt das Völkerrecht die Fähigkeit zu, neues Gebiet zu
erwerben. Die völkerrechtlichen Besitztitel sind doppelter Art, teils abgeleitete,
teils ursprüngliche. Derivativer Erwerbsgrund ist heutzutage lediglich die
Zession, d.h. die Übertragung der Gebietshoheit durch die vorhandene öffent-
liche Gewalt. Die causa der Abtretungsverträge kann eine sehr verschiedene
sein. Als originäre Erwerbsgründe gelten zwei: der kriegerische der Eroberung,
welcher den Untergang des besiegten Staates zur Voraussetzung hat, und der
friedliche der Okkupation. Letztere erfolgt an solchen Landstrecken, Wasser-
gebieten, Inseln und Inselgruppen, die keinem Staate zugehörig sind, mögen
sie bewohnt sein oder nicht. Sie erfordert den auf Aneignung gerichteten Willen
der Regierung, verbunden mit effektiver Besitznahme, d.h. Aufrichtung einer
obrigkeitlichen Gewalt. Die bloße Nachbarschaft kann ein Vorrecht auf okku-
patorischen Besitzerwerb des Hinterlandes oder des geographischen Strom-
systems nicht begründen. Andererseits mag die Pflicht, nicht zu okkupieren,
durch vertragsmäßige Abgrenzung von Interessensphären, auf dem Festlande
wie auf dem Meere, übernommen werden. Um Prioritätsstteitigkeiten vorzu-
beugen, haben die Signatarmächte der Berliner Generalakte vom 26. Februar
1885 gemäß deren A. 34 sich verbindlich gemacht, okkupatorischen Besitz-
erwerb einander zu notifizieren. Mit der Besitznahme des neuen Staatsgebiets
werden die dort niedergelassenen Personen, sofern sie nicht in einem anderen
Lande verbürgert sind, Angehörige des Erwerbers. Doch pflegt nach einer seit
den Friedensschlüssen von 1763 zu beobachtenden Staatspraxis im Falle einer
Gebietsabtretung den Bewohnern ein befristetes Recht auf Auswanderung,
heutzutage in der Form der Option, d.h. des Anspruchs auf Wiedererwerb
31*
Das
völkserrechtliche '
Territorium.
Gebietserwerb.