496 FERDINAND VON MARTITZ: Völkerrecht.
verschiedensten polizeilichen Angelegenheiten von jeher geschlossen worden
sind. Ein spezielles Interesse des Seeverkehrs, nämlich die zwangsweise Zurück-
führung entlaufener Schiffsmannschaften, hat schon vorlängs durch zahlreiche
Kartelle über die solchenfalls zu leistende polizeiliche Rechtshilfe eine detaillierte
Pflege gefunden. Neuerdings aber haben große Kollektivverträge begonnen,
nach mannigfacher Richtung hin die Verwaltungspolizei der beigetretenen
Staaten in den Dienst allgemeiner Interessen zu stellen. In steter Erweiterung
begriffen, die Tendenz zu Verwaltungsvereinen mit Zentralbureaus, ständigen
Kommissionen, Generalkonferenzen heranzuwachsen auch ihrerseits aus-
prägend, liefern sie die Bausteine zu einem internationalen Verwaltungsrecht
(im besonderen Sinne des Worts). Sie sind, entsprechend den verschiedenen
Zweigen der inneren Verwaltung zivilisierter Staaten, sehr vielseitig und bunt.
Manches ist erst im Entstehen begriffen. Unter den umfassenden Rechts-
gemeinschaften, die hieher gehören, ragen hervor die Verabredungen über Maß-
nahmen, Einrichtungen und Anstalten gesundheitspolizeilicher Art: insbe-
sondere die Sanitätskonventionen zum Schutze gegen Einschleppung und Ver-
breitung der Cholera, Pest und des Gelbfiebers, nunmehr kodifizierend zu-
sammengefaßt in dem großen Pariser Vertrage vom 3. Dezember 1903, der charte
sanitaire moderne, mit ihren Organen, den Überwachungsräten in Ägypten, in
Tanger, dem obersten Gesundheitsrat in Konstantinopel und, gemäß der Kon-
vention vom 9. Dezember 1907, dem internationalen Gesundheitsamt in Paris.
Aus dem Bereiche der Verkehrspolizei ist hervorzuheben der Pariser Vertrag
vom 11. Oktober 1909 über den internationalen Verkehr mit Kraftfahrzeugen;
für die internationale Luftschiffahrt hat die reich beschickte Pariser Konferenz
vom 18. Mai I9IO einen ausführlichen Vertragsentwurf vorläufig festgestellt.
Auf Gegenstände der Landwirtschaftspolizei beziehen sich die von Mächten
des europäischen Kontinents geschlossenen Konventionen über gemeinsames
Vorgehen gegen Einschleppung und Verbreitung der Reblaus, vom 3. No-
vember 1881 und über Schutz der für die Landwirtschaft nützlichen Vögel, vom
19. März 1902. Sittenpolizeiliche Maßregeln sind verabredet worden durch die
Pariser Abkommen über Gewährung wirksamen Schutzes gegen den Mädchen-
handel vom 18. Mai 1904 und über Bekämpfung der Verbreitung unzüchtiger
Veröffentlichungen vom 4. Mai 1910. Eine internationale Sozialpolitik haben
eingeleitet die beiden Berner Konventionen über Arbeiterschutz vom 26. Sep-
tember 1906, nämlich das Verbot der Verwendung von weißem Phosphor zu
Zündhölzern und das der gewerblichen Nachtarbeit von Frauen.
Einen bemerkenswerten Vorgang, nicht bloß Verwaltungspolizei, sondern
auch Verwaltungspflege und wissenschaftliche Interessen durch gemeinsame
Unternehmungen europäischer und amerikanischer Regierungen international
zu organisieren, bildet die Vereinigung für Erdmessung. Sie war 1862 auf einer
Berliner Konferenz ins Leben gerufen und verehrt in dem ‚preußischen General
J. J. Baeyer ihren Schöpfer, ‚qui ad terrae mensuras communi studio eruendas
nationum sodalicium excitavit‘‘. Im Jahre 1886 hat sie sich auch förmlich als
ein mitgliederreicher Staatenverein konstituiert. Verwandten Zwecken dient