Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Rechtsquellen, 
Gesetz und 
Gewohnbeit. 
32 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft. 
Sonach bleibt als Aufgabe dieses Zusammenhanges nur die zweite Frage, 
die wir beim Beginne dieses Abschnittes genannt haben: nach der Entstehung 
und Veränderung bestimmter Rechtseinrichtungen im Laufe der Geschichte. 
Sie kann in zweifacher Richtung aufgenommen werden, je nachdem man die 
formale Art der menschlichen Handlungen, die rechtliche Regeln setzen, unter- 
sucht — oder nach den bestimmenden Einflüssen und bewirkenden Gründen 
rechtlicher Veränderungen allgemein forscht. 
Die zuerst angeführten menschlichen Akte nennen wir seit längerem 
Rechtsquellen. Die hierüber aufzustellende Lehre ist jedoch lediglich eine 
solche der technischen Jurisprudenz und gründet sich in ihrer ganzen Aus- 
führung auf den besonderen Inhalt einzelner Rechtsordnungen. Das Recht, 
sagt Brinz, enthält vor allem Bestimmungen über sich selbst. Es gibt in eigenen, 
von ihm gesetzten Regeln an, wie es geändert, abgeschafft und ergänzt werden 
soll, wobei die verschiedenen Rechtsordnungen außerordentlich mannigfaltigen 
Inhalt aufweisen. Auch die Einteilung in Gesetzesrecht und Gewohnheitsrecht 
— Setzung der Regel durch bewußten Akt bestimmter, dazu berufener Men- 
schen, oder aber durch tatsächliche Übung und andauernde gleichmäßige An- 
wendung einer als Recht angenommenen Norm — harrt stets erst noch der 
näheren Ausfüllung durch besonderen, geschichtlich bedingten Inhalt einer 
positiven Rechtsordnung. 
Allerdings ist zuweilen versucht worden, die Lehre von den Rechtsquellen 
von dieser geschichtlichen Bedingtheit freizumachen und allgemeingültig auf- 
zubauen. Namentlich ist das bei der Erörterung des Verhältnisses von Gesetz 
und Gewohnheit geschehen. Die herrschende Lehre des 18. Jahrhunderts nahm 
als grundlegende Rechtsquelle die staatliche Gesetzgebung an, von der ein recht- 
lich geltender Brauch in jedem einzelnen Falle erst sanktioniert werden müßte 
und ohne das keine Geltung zu haben vermöchte; die darauf folgende geschicht- 
liche Rechtsschule stellte umgekehrt die Gewohnheit als die eigentliche Quelle 
des gesetzten Rechtes hin, die von jeder Rechtsordnung notwendig anzuer- 
kennen wäre und von ihr als rechtsschöpferisch gar nicht verneint werden 
könnte, bei Meidung der Nichtigkeit eines sie doch ausschließenden positiven 
Staatsgesetzes. Beide Meinungen verstoßen gleichmäßig gegen den oben (A. I 
a. E.) deduzierten Satz, daß es keinen einzigen Rechtssatz geben kann, der 
seinem positiven Inhalte nach unbedingt feststände. Auch die Anordnung 
eines bestimmten positiven Rechtes über Anerkennung oder Verwerfung 
einer auf Rechtsfragen bezüglichen Gewohnheit bedeutet notwendig eine stoff- 
lich bedingte Regel, über deren besonderen Inhalt sich schlechterdings 
nichts sagen läßt, was absolute Gültigkeit hätte. Wenn also Puchta lehrt, 
daß der Einfluß der ‚„Volksüberzeugung‘ auf den Richter sich nicht verbieten 
lasse, so kann das, in Abänderung seiner eigenen Meinung, für uns nur den ver- 
ständlichen Sinn haben, daß ein das Gewohnheitsrecht verbietendes Geset2 
möglicherweise keinen Erfolg haben könne, daß man vielmehr stets ge- 
wärtig sein müsse, daß gegen jenes bestehende bestehende Gesetz sich auf 
anderem Wege doch vielleicht neues ‚Recht‘ bilden werde. Diese Möglichkeit
	        
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