Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Völkerrechts- 
verletzungen. 
Schadensersatz. 
502 FERDINAND VON MARTITZ: Völkerrecht. 
verletzungen Platz. Steht der geschuldete Geldbetrag fest, so hat der in Verzug 
kommende Schuldnerstaat im Zweifel das Kapital zu verzinsen (Erkenntnis 
des Haager Schiedshofs vom ıı. November 1912 in Sachen Rußland wider 
Türkei, Protocoles p. 94). 
2. Die Rechtsverletzungen. Neben den Rechtsgeschäften erscheinen 
die Rechtsverletzungen als Entstehungsgründe völkerrechtlicher Forderungs- 
rechte. Sie gewähren dem in seinen Rechten verletzten Staat einen Anspruch 
gegen die hierfür verantwortliche Regierung und bilden die Deliktsobligationen 
des internationalen Verbandes. Zu individualisierter Ausgestaltung bestimmter 
Tatbestände hat es das Völkerrecht ebensowenig wie zu Vertragstypen gebracht. 
Jeder rechtswidrige Angriff gegen die durch das allgemeine internationale Recht 
dem Einzelstaat, in Frieden und Krieg, für seinen Bestand, seine Sicherheit, 
sein Territorium, seine Angehörigen, seine Organe, seine Freiheit, seine Ehre, 
verbürgte Rechtssphäre macht die schuldhaft handelnde oder unterlassende 
Regierung haftbar. Nur dient der gegen sie zu erhebende Anspruch niemals 
einem Strafzweck. Verbrechen kann die Staatsgewalt nicht begehen. Wenn 
man mißbräuchlich vielfach von Verbrechen gegen das Völkerrecht spricht, 
so will man mit dieser Bezeichnung lediglich gewisse landesrechtlich kriminali- 
sierte Tatbestände treffen, zumal solche, welche sich gegen die befreundeten 
Mächte richten, zu deren Verhütung und Bestrafung der Staat des Begehungs- 
ortes völkerrechtlich verpflichtet ist. 
Die aus der deliktischen Rechtsverletzung sich ergebenden Pflichten sind 
zwiefacher Art. Einmal gehen sie auf Gutmachung des zugefügten Schadens. 
Ein solcher ist, soweit die Herstellung des früheren Zustandes untunlich oder 
nicht als ausreichende Rechtsfolge zu erachten ist, durch eine Geldzahlung aus- 
zugleichen. Schadensersatz ist ein allgemeiner Rechtsbegriff, der gemeinsamen 
juristischen Gedankenwelt der Kulturstaaten angehörig, von der völkerrecht- 
lichen Ordnung aufgenommen und durch Verträge und schiedsgerichtliche 
Entscheidungen reich entwickelt. Der Umfang des zu leistenden Schadens- 
ersatzes wird auch im internationalen Verkehr, in welchem Reklamationen 
wegen dommages et inier&is eine große Rolle spielen, in dem weiten Sinne ge- 
nommen, wie ihn das gemeine Recht normativ festgestellt hat: quantum mihi 
abest, quantumque lucrari potui. Und auch dort kommt es auf eine vernünftige 
Würdigung der Umstände des Einzelfalles an. Insbesondere liegt für das Völker- 
recht kein Grund vor, von der allgemeinen, in der Ziviljustiz der Staatenwelt 
anerkannten Regel abzugehen, daß die Ersatzpflicht den Schaden in seiner ge- 
samten Ausdehnung, also auch den mittelbaren Schaden zu erfassen hat, sofern 
nur der Kausalzusammenhang mit dem schadenbringenden Ereignis erweislich 
ist. Die neuere internationale Praxis neigt allerdings dazu, bei Reklamationen 
auf Schadensersatz nur den direkten Schaden zu berücksichtigen (Alabama- 
streitsache, präjudizieller Bescheid des Genfer Schiedsgerichts vom IY9. Juni 
1872; amtliche Erklärungen im deutschen Reichstage, 24. 26. März 1908). 
Neuestens haben kriegsrechtliche Abkommen in kühnem Vorgehen für spezielle
	        
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