VIII. Der Krieg und sein Recht, 6. Das Recht der Neutralen zur Se. 533
von Traktaten, in deren Mittelpunkt alsbald die erwähnten Utrechter Ver-
träge traten, in wesentlicher Übereinstimmung die Grenze dahin fest-
gestellt, daß nur Waffen, Kriegsmunition aller Art und Pferde Konterbande
sein sollten, alle anderen Waren aber, insbesondere Lebensmittel, Schiffs-
baumaterialien und Geld, unbehelligt in kriegführende Länder eingeführt
werden dürften. Und auch auf die Formen des gegen konterbandierende
Schiffe einzuschlagenden Verfahrens, sowie auf die zu verhängenden Rechts-
nachteile erstreckten sich mildernd und beschränkend die stereotypen Ver-
tragsklauseln.
Noch in einem dritten Punkte suchten die Verträge aus der Zeit Lud- Die Blockade
wigs XIV. die neutrale Frachtfahrt zu sichern. Erschien es nämlich wider das
Recht der Natur ad bellum necessaria hostibus administrare, so war es nicht
minder ein Eingriff in das Recht der Kriegführenden, einen belagerten See-
platz durch Zufuhr auch der nicht unter das Konterbandeverbot fallenden
Gegenstände zu unterstützen; also, wie der aus der französischen Sprache
stammende Ausdruck lautete, eine Blockade zu durchbrechen. Gegen den
Mißbrauch nun, eine Küstenstrecke für blockiert zu erklären, ohne sie ein-
zuschließen, richtete sich die Vertragsklausel, daß mercimonia ad loca inimica
geführt werden dürften, exceptis duntaxat oppidis locisque tunc temporis ob-
ssdione cinchs, circumseblis vel investitis. Hiernach soll es unzulässig sein,
ganze Länder durch bloße Kreuzerschiffe in Blockadezustand zu versetzen,
und die noch im holländisch-spanischen Unabhängigkeitskriege schwer emp-
fundene Möglichkeit, den Neutralen den Handel mit dem Kriegsfeinde ganz
zu untersagen, ausgeschlossen werden. Die Blockade wurde zur Rechtsform
für die Verkehrssperre zur See.
So schien bereits zu Anfang des 18. Jahrhunderts durch die Prinzipien Das britische
der Utrechter Verträge der Boden für die Bildung eines gemeingültigen See- Obergewicht
kriegsrechtes, einem neuen Rechtsbewußtsein entsprechend, bereitet zu sein.
Daß es dazu nicht kam, daß die alte Willkür fortdauerte, hat das maritime
Übergewicht des britischen Weltreiches verschuldet. In den großen Kriegen
des 18. Jahrhunderts, aus welchen das heutige Staatensystem hervorgegangen
ist, setzten die Engländer mit eiserner Konsequenz, in steigernder Schroffheit
den Neuerungen des Vertragsrechts das ‚alte‘‘ Seerecht entgegen, das des
Consulats. Allen Staaten gegenüber sollte es in Geltung stehen, die sie nicht
konventionsmäßig „privilegiiert‘‘ hätten. Es war der sprechende Ausdruck für
die erlangte Seeherrschaft. Und noch mehr als das System selbst wurde dessen
Ausführung, wurde ihre Konterbande- und Blockadepraxis und vor allem die
Organisation ihres Kaperwesens zu einer wahren Geißel des neutralen See-
handels. Selbst den Satz: Frei Schiff, unfrei Gut, erklärten sie für unanwend-
bar, wenn der neutralen Handelsmarine erst im Kriege vom Feinde der zu
Friedenszeiten seiner eigenen Reederei vorbehaltene Küsten- und Kolonial-
verkehr eingeräumt werde. Vielmehr seien die einen „neuen Handel‘ treiben-
den Schiffe als der Marine des Feindes inkorporiert zu behandeln, demnach
gute Prisen (Rule of the war of 1756).