Geschlossenbeit
der Rechts-
betrachtung.
Juristische
Konstruktion.
36 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
Hypothek, des Vermächtnisses, der Todesstrafe, des Berufungsgerichtes nur
bedingte Rechtsbegriffe, dagegen rein der Begriff des Rechtes selbst und
die von ihm ausstrahlenden Denkformen.
Da nun alle Rechtsbetrachtung gleichmäßig unter dem unbedingten Ober-
begriff des Rechtes steht, so hängen alle zu ihr gehörigen Vorstellungen in einer
geschlossenen Einheit zusammen. Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen,
die für weitere Klärung der juristischen Praxis bedeutsam sein können.
I. In der Rechtswissenschaft hat die bloß naturwissenschaftliche
Erkenntnis von äußeren Wahrnehmungen in selbständiger Weise nichts zu
suchen. Danach war es falsch, wenn in Gerichtsurteilen das Bedenken: ob an
Elektrizität ein „Diebstahl‘‘ möglich sei, für eine ‚„naturwissenschaftliche‘‘
Frage erklärt wurde.
2. Das zeigt sich im besonderen bei der Aufgabe, den Kausalzusammen-
hang bei einem rechtlich bedeutsamen Tun eines Menschen klarzustellen;
namentlich als Unterlage der Verantwortlichkeit für eine unerlaubte Handlung.
Die Meinung unserer Gesetze kann hier unmöglich die Forderung einer Ursachen-
reihe sein, die in exakter Naturwissenschaft darzulegen wäre; ein derartiger
Beweis kann nur zu oft nicht erbracht werden. Als Sinn des bei uns geltenden
Rechtes ist ein anderer anzunehmen: es meint mit dem Erfordernisse der ‚‚Ver-
ursachung‘‘ nur das Vorliegen allgemeiner Regelmäßigkeiten, deren Gegeben-
sein mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann (vgl. BGB. 252).
.3. Es ist unklar, wenn in rechtlichen Erörterungen als entscheidende
Erwägung das sittliche Urteil angerufen wird. Zunächst ist das Wort „sitt-
lich‘‘ mehrdeutig. Es heißt: a) richtig wollend, b) Norm des Innenlebens,
c) grundsätzlich richtige Rechtsforderung, d) korrekt in sexueller Hinsicht.
Wird nun jener Ausdruck unbesehen gebraucht, so ist eine sachliche Ver-
schwommenheit unvermeidlich. Im genauen Begriffe scheiden sich aber sitt-
liche und soziale Erwägung als Art des Innenlebens von der des Zusam-
menwirkens (C.2). Beide sollen wiederum grundsätzlich richtig ge-
staltet werden. Aber dann bleibt die rechtliche Frage, als zu dem sozialen
Leben gehörig, auch innerhalb ihres eigenen Gebietes, das nach den ihr gerade
eigenen Gedankenzügen zu beherrschen ist.
4. In Rechtsfragen haben endlich Betrachtungen von Konventional-
regeln (C. 3) nur soweit Bedeutung, als die letzteren gerade durch eine be-
sondere rechtliche Anordnung aufgenommen werden; z. B. in den Hinweisen
des BGB. auf „eine auf den Anstand zu nehmende Rücksicht‘. Der Sinn eines
Rechtsgesetzes kann daher auch nicht durch bloße Verweisung auf
sprachwissenschaftliche und ähnliche Erörterungen dargelegt werden (z.B.
RGes. v. 19. IV. 08 $ 12).
Die methodische Erfassung rechtlicher Fragen in festen und deutlich ein-
gesehenen Begriffen heißt seit längerem juristische Konstruktion. Sie
gipfelt darin, daß gezeigt wird, wie der Inhalt eines besonderen rechtlichen
Wollens durch die reinen Grundbegriffe des Rechtes bestimmt ist. Denn es
sind nicht erst die einzelnen Rechtsbestimmungen da, aus denen zeitlich hinter-