Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Geschlossenbeit 
der Rechts- 
betrachtung. 
Juristische 
Konstruktion. 
36 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft. 
Hypothek, des Vermächtnisses, der Todesstrafe, des Berufungsgerichtes nur 
bedingte Rechtsbegriffe, dagegen rein der Begriff des Rechtes selbst und 
die von ihm ausstrahlenden Denkformen. 
Da nun alle Rechtsbetrachtung gleichmäßig unter dem unbedingten Ober- 
begriff des Rechtes steht, so hängen alle zu ihr gehörigen Vorstellungen in einer 
geschlossenen Einheit zusammen. Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen, 
die für weitere Klärung der juristischen Praxis bedeutsam sein können. 
I. In der Rechtswissenschaft hat die bloß naturwissenschaftliche 
Erkenntnis von äußeren Wahrnehmungen in selbständiger Weise nichts zu 
suchen. Danach war es falsch, wenn in Gerichtsurteilen das Bedenken: ob an 
Elektrizität ein „Diebstahl‘‘ möglich sei, für eine ‚„naturwissenschaftliche‘‘ 
Frage erklärt wurde. 
2. Das zeigt sich im besonderen bei der Aufgabe, den Kausalzusammen- 
hang bei einem rechtlich bedeutsamen Tun eines Menschen klarzustellen; 
namentlich als Unterlage der Verantwortlichkeit für eine unerlaubte Handlung. 
Die Meinung unserer Gesetze kann hier unmöglich die Forderung einer Ursachen- 
reihe sein, die in exakter Naturwissenschaft darzulegen wäre; ein derartiger 
Beweis kann nur zu oft nicht erbracht werden. Als Sinn des bei uns geltenden 
Rechtes ist ein anderer anzunehmen: es meint mit dem Erfordernisse der ‚‚Ver- 
ursachung‘‘ nur das Vorliegen allgemeiner Regelmäßigkeiten, deren Gegeben- 
sein mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann (vgl. BGB. 252). 
.3. Es ist unklar, wenn in rechtlichen Erörterungen als entscheidende 
Erwägung das sittliche Urteil angerufen wird. Zunächst ist das Wort „sitt- 
lich‘‘ mehrdeutig. Es heißt: a) richtig wollend, b) Norm des Innenlebens, 
c) grundsätzlich richtige Rechtsforderung, d) korrekt in sexueller Hinsicht. 
Wird nun jener Ausdruck unbesehen gebraucht, so ist eine sachliche Ver- 
schwommenheit unvermeidlich. Im genauen Begriffe scheiden sich aber sitt- 
liche und soziale Erwägung als Art des Innenlebens von der des Zusam- 
menwirkens (C.2). Beide sollen wiederum grundsätzlich richtig ge- 
staltet werden. Aber dann bleibt die rechtliche Frage, als zu dem sozialen 
Leben gehörig, auch innerhalb ihres eigenen Gebietes, das nach den ihr gerade 
eigenen Gedankenzügen zu beherrschen ist. 
4. In Rechtsfragen haben endlich Betrachtungen von Konventional- 
regeln (C. 3) nur soweit Bedeutung, als die letzteren gerade durch eine be- 
sondere rechtliche Anordnung aufgenommen werden; z. B. in den Hinweisen 
des BGB. auf „eine auf den Anstand zu nehmende Rücksicht‘. Der Sinn eines 
Rechtsgesetzes kann daher auch nicht durch bloße Verweisung auf 
sprachwissenschaftliche und ähnliche Erörterungen dargelegt werden (z.B. 
RGes. v. 19. IV. 08 $ 12). 
Die methodische Erfassung rechtlicher Fragen in festen und deutlich ein- 
gesehenen Begriffen heißt seit längerem juristische Konstruktion. Sie 
gipfelt darin, daß gezeigt wird, wie der Inhalt eines besonderen rechtlichen 
Wollens durch die reinen Grundbegriffe des Rechtes bestimmt ist. Denn es 
sind nicht erst die einzelnen Rechtsbestimmungen da, aus denen zeitlich hinter-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.