II. Allgemeiue Grundsähe des Rechts. 71
8. 96. In Ermangelung besonderer gesetzlicher Vorschriften muß der, welcher
durch Ausübung seines Rechtes einen Vortheil sucht, dem nachstehen, der nur einen
Schaden abzuwenden bedacht ist 100).
§. 97. Sind die in Kollision kommenden Rechte von gleicher Beschaffenheit, so
muß jeder der Bercchtigten von dem seinen so viel nachgeben 1%1), als erforderlich ist,
damit die Ausübung beider zugleich bestehen könne 10145).
(XIII, 5); sind alle gleich, so entscheidet die Regel: prior tempore potior jare. Beispiele: zwischen
zwei zufälligen (bergmännischen) Findern entscheidet das Alter, 1. 16, #F. 169, 352, 362, 363; Pr.
des Obertr. 2141, v. 23. August 1849 (Entsch. Bd. XVIII. 326); desgl. zwischen mehreren Eigen-
thumsprätendeuten, welche ihren Titel von demselben Autor haben, I. 10, 8. 20; serner L. 26 D.
loc. cond. (XIX 2); Nov. 91, c. 1. — Vergl. Huseland, über Veränderung der Reckee durch
das Zusammenkommen mehrerer Rechte und Verbindlichkeiten; in dessen Abhandlungen, Th. II. S. 3,
und Heimbach sen. in Weiske's Recchtslexikon, Bd. 1X, S. 1468. Ueber Preußisches Recht: Schröt-
ter, von der Kollision der Rechte; in der Jur. Zeit. von 1832, Sp. 1111 flg.; m. Privatrecht,
3. Ausg. Bd. I, §. 100.
100) Die Frage nach der Herkunft dieser, in ihrer Allgemeinheit bedenklichen Regel führt zu dem
Ergebnisse, daß diese Regel nur eine beschränkte Anwendung finden kann, wenn sie praktische Bedeu-
tung haben soll. Das G. R. weiß nichts davon. In einem sehr beschränkten Kreise, nämlich bei der
Kollision von Privilegien, kommt der Satz vor, und Leyser, Med., sp. 61. m. 7, bringt den Aus-
spruch einer Juristensakultät von 1715: Ee ist bekannten Rechtens, daß die Restitution auch contra
edue privilegialum stattfinde, wenn ein Theil Schaden zu verhiten, der andere aber Vortheil suchet.
Gestützt wird der Sad aus L. 11, §. 6 u. L. 34 D. de minor. (IV, 4). Hier wird folgender Rechts-
fall entschieden. Ein Minderjähriger hat einem anderen Minderjährigen Geld geliehen, welches ver-
schwendet worden, d. h. nicht in den Nutzen des Empfängers gekommen ist. Der deklagte Empfänger
nimmt die Restuntion gegen die Klage in Anspruch, um sich gegen die Verurtheilung zu chützen. Der
Kläger beruft sich replikando auf dieselbe Rechtswohlthat. Diesen Kollisionsfall entscheiden Ulpian und
Paulus zu Gunsten des Bekl. und weisen den Kl. ab, weil der Empsfänger nicht reicher geworden,
und folglich durch Herausgabe der geforderten Summe Schaden leiden würde. Nach dieser Quelle hat
die Regel nur ein sehr beschränkten Gebiet; sie bezieht sich auf bestimmte besondere Recheswohlthaten.
Dieser Kollisionsfall kann nach dem L. R. nicht eintreten; aber in ähnlicher Weise kann er z. B. bei der
Kompetenz vorkommen, wenn zwei, aus persönlichen Gründen wechselseitig zur Kompetenz verpflich-
tete Personen als Glaubiger und Schuldner zusammenstoßen. — Soll auf beiden Seiten nur Verlust
· det werden, so kann die Kollision nur durch Nichtgebrauch dieser besonderen Rechte beseitigt
werden, diese kompenfiren sich dann.
101) Ist die erste Regel des F. 95 nicht anwendbar und steht der Fall auch nicht unter der zwei-
ten (§. 96), so müssen die gleichbeschaffenen Rechte einander etwas nachgeben. Auch diese Rcgel hat
ihr eigenes bestimmtes Gebiet; sie bezieht sich auf die indirekte Kollision in einem dritten Ob-
lekte. Kann das Recht von Allen auf einen Theil ausgeübt werden, so trin verhältnißmäßige Thei-
lung ein. Beispiele: der Konkurs der Gläubiger und Bermächenisse an Mehrere. 1. 12, 85. 542,
54 ; L. 33 D. de legatis I. Kann aber nur Einer das Recht ansüben, so entscheidet das Loos. Bei-
spiele: 1, 9, §. 317; I. 12, S. 394; I. 17, 5. 28. (4. A.) Oder die Ausübung des Rechts geschieht
nach einem Turnus. Reicht g. B. das Wasser eines Teiches bei kleinem Wasser zu dein gleichzeitigen
Berriebe der an demselben belegenen Hammerwerke nicht aus, so ist die Verpflichtung der einzelnen
Besitzer derselben, sich dem Beschlusse der Mehrheit auf Einführung eines Turnus in dem Betriebe die-
ser Werke zu unterwersen, nach den Vorschriften dieser §s. 95 — 98 zu beurtheilen. Pr. des Obertr.
v. 1. Mai 1857 (Arch. f. Rechtsf. Bd. XXVI. S. 29). *ê
Das Berhälmiß dieser drei Regeln zu einander ist nicht das der Nangordnung, vielmehr ist die
erste Regel (§. 95) eine allgemeine, und die beiden anderen (§H. 96 u. 97) haben jede ihr eigenes und
ausschliebliches Gebiet. Uederhaupt aber können nach heutigem Rechte Kollisionen nur in Beziehung
auf Vermögensgegenstände eintreten, weshalb die Lehre von der Kollision der Rechte nicht zu den gang
Allgemeinen gehort.
101 #) (5. A.) Der bei der Kollision mehrerer Grundeigenthümer zutreffende Sa:
daß die Ausschließlichkeit und Willkürlichkeit des Gebrauchsrechtes des einen Eigenthümers ihre noth-
wendige Begrenzung finde in der dem anderen Eigenthümer ebenfalls zustehenden Willkürlichkelt und
Ausschließlichteit, und daß demgemäß die Benutzung des einen Eigenthümers nicht in den Rechts-
kreis der Benutzung des anderen hinübergreifen dürfe,
ist nicht ohne Weiteres auf Kollisionen zwischen Grundeigenthum und Bergwerkseigenthum anzuwenden,
vielmehr ist darauf zu sehen, wie sich diese widerstreitenden Verhältnisse durch Herkommen und beson-
dere Gesetze gestaltet haben. Vergl. Berygesetz vom 24. Juni 1865, §55. 153—155. Erk. des Obertr.
vom 24. Februar 1868 (Arch. f. Rechtsf. Bd. LXXI, S. 75).