550 FERDINAND VON MARTIIZ: Völkerrecht.
zahlreichen, auch dieser Rechtsdisziplin gewidmeten Sammelwerke. Mit der Lehre
und den Schriften des Hamburgers GEORG FRIEDRICH V. MARTENS (1756— 1821),
einer der Zierden der Göttinger Hochschule, hat sie im wesentlichen ihre moderne
Gestalt erhalten. Er stellte dem natürlichen (universellen) Völkerrecht das positive
(praktische, europäische) in systematischer Abrundung zur Seite. Ihm verdanken wir
die noch gegenwärtig erscheinende Sammlung der Staatsverträge, den Recueil MARTENS,
eine über die ganze Welt verbreitete, unentbehrliche und unerschöpfliche Quelle völker-
rechtlichen Wissens. Von höchstem Verdienst waren seine auf wissenschaftliche Diplo-
matie gerichteten Anleitungen. Das Lehrbuch: „Pr&cis du droit des gens moderne de
l’Europe‘“ 1789, €d. par VERGE 1864; deutsch als „Einleitung in das positive euro-
päische Völkerrecht‘ 1796, hat seinem Namen eine bleibende Stellung in der völker-
rechtlichen Literatur aller Nationen verschafft.
Im Laufe des ı9. Jahrhunderts hat das Naturrecht auch für das Völkerrecht seine
wissenschaftliche Autorität eingebüßt. Gleichzeitig aber hat die Theorie des positiven
Völkerrechts eine in stetem Fortgange befindliche inhaltliche Bereicherung und Be-
festigung erhalten, nicht allein durch die großartige Entwickelung, die den inter-
nationalen Beziehungen der Staaten seither zuteil geworden ist, und durch die dem
älteren Völkerrecht ganz unbekannte Tendenz, große zivilisatorische Interessen durch
planmäßiges Zusammenwirken in die Kreise der auswärtigen Politik zu ziehen, sondern
vor allem durch die wachsende Erkenntnis, daß erst mittelst Aufsuchung der aus dem
Wesen unserer Staatengemeinschaft, ihren Aufgaben und Zielen sich ergebenden all-
gemeinen Rechtsprinzipien den Vorschriften des überkommenen internationalen Rechtes
ein festerer Halt, eine tiefere Begründung und ein wissenschaftlicher Zusammenhang
zu gewinnen und zu sichern sei. Das Hauptverdienst, diesen neuen Weg gebahnt zu
haben, erwarb sich abermals ein Deutscher, AUGUST WILHELM HEFFTER (1796—1880):
„Das europäische Völkerrecht der Gegenwart‘ 1844; 8. A. VON GEFFCKEN 1888.
Die heutige Literatur des Völkerrechts ist eine wahre Weltliteratur. In viel-
sprachigem Konzert, ganze Spezialliteraturen abzweigend, bringt sie unter der leb-
haften Mitarbeit aller Nationen den nämlichen Rechtsstoff mit kaum übersehbarer
Fülle literarischer Erscheinungen, bei deren vergleichender Würdigung das Anklingen
der nationalen Saite einen besonderen Reiz abgibt, zu einer im wesentlichen gleich-
artigen Darstellung. Von den heute als maßgebend anerkannten großen Systemen
mögen als charakteristisch aufgeführt werden: für Nordamerika H. WHEATON: „Ele-
ments of international law‘‘ 1836. 4. ed. 1904, nebst_den dazu verfaßten Kommentaren;
J. BASSETT MooRE, „A Digest of international law“, I—VIII, 1906; für England
W.E.HaLL: ‚„Treatise on international law“, 6. ed. 1909; TRAVERS Twiıss: „The law
of nations considered as independent political communities“. 2. ed. I 1884, II 1895;
L. OPPENHEIM, „International law“, 2.ed. 1912; J. WESTLAKE, „International law“, I
1904, II 1907; für Frankreich PRADIER-FODERE: „Trait€ de droit international public
europ€een et americain‘“ I—VIII, 1885—1906; für Italien P. FiorRE: „Trattato di diritto
internazionale pubblico‘“, 3. ed. I—III, 1887—1891; für Spanien R. DE OLIVART: „Tra-
tado de derecho internacional püblico‘“‘, 4. ed. I—IV 1903. 1904; für Rußland Fr. v.MAR-
TENS: „Völkerrecht“, deutsch von Bergbohm I. II, ı1883—ı886; für Südamerika
CH. CAaLvo: „Le droit international th&orique et pratique‘“‘, 4. &d. I—VI, 1887—1896 ;
für Belgien E. Nys: „Le droit international, les principes, les theories, les faits“,
I—III, nouv. €d. 1912; für die Niederlande J. DE LoUTER: „Het stellig Volkenrecht‘“
I. II, 1910; endlich für Deutschland J. C. BLuntscaLi: „Das moderne Völkerrecht
der civilisirten Staaten als Rechtsbuch dargestellt“, 3. A. 1878; das Sammelwerk:
FR. v. HOLTZENDORFF, „Handbuch des Völkerrechts‘‘ I—IV, 1885—1889 mit Register
1890; E.v. ULLMANN, „Völkerrecht“, 1908. — Zahlreich sind die fast in allen Kultur-
sprachen vorliegenden Lehrbücher des Völkerrechts, von denen die trefflichen deutschen
von K,. GAREIS, 2.A. 1901; von A. RıvieEr, 2.A. 189; von F. v. LisZT, 9.A. 1913,
hier hervorgehoben sein mögen.