I. Die Rechtstechnik. 553
nach ‚„wichtigem Grunde‘‘ oder unter ‚Vermeiden des Mißbrauches‘ zu ent-
scheiden; und unter allen Umständen entströmt dieser zweiten, grundsätzlichen
Erwägung ein kritisches Urteil über die Richtigkeit oder Verwerflichkeit einer
gewissen rechtlichen Anordnung. Wie immer man sich bemühen möge, die ge-
nannten technisch geformten Normen auszubauen, zu feilen und zu ver-
bessern: immer wird sich unvermeidlich hinter und über ihnen jenes Zweite
— an dieser Stelle bis jetzt noch Unbestimmte — erheben, das den sonst zer-
fahrenen und systematisch zufälligen Einzelsätzen technisch ausgearbeiteten
Charakters erst Einheit und inneren Halt zu verleihen imstande ist. Denn dieses
Zweite geht auf eine methodische Einsicht in die reinen Formen
jeder denkbaren Rechtsbetrachtung, es ist von dem besonderen Stoffe dieser
oder jener einzelnen Satzung unabhängig, obschon es diese notwendig begleitet,
richtet und bestimmt.
Nun ist es ein kaum bestreitbares Kennzeichen unseres gegenwärtigen Zeit-
alters, daß seine Stärke in der Energie auf technisch begrenzte Ziele
gelegen sei. Im Einklange damit können wir beobachten, daß auch in der
Rechtswissenschaft zurzeit am meisten die technische Jurisprudenz aus-
gebaut ist, während sich überall Lücken und ungelöste Probleme zeigen, sobald
die reine Rechtslehre in Frage kommt, sei es als juristische Methodenlehre
für die Rechtstechnik selbst, sei es als Richtlinie für ein Wählen nach grund-
sätzlich richtiger Weise. Wir entnehmen dieser Beobachtung die Anordnung
des Folgenden dahin: daß wir zuerst von dem Stande — und den daraus sich
ergebenden Zukunftsaufgaben — der Technik, sodann der Geschichte und schließ-
lich der Philosophie des Rechtes handeln.
I. Die Rechtstechnik. Die technische Jurisprudenz ist im Grunde
ihres Wesens eine reproduktive Tätigkeit. Sie hat den Inhalt von einem be-
sonderen geschichtlichen Rechte oder von mehreren positiven Rechtsordnungen
wiederzugeben. Ihr letztes Ziel ist also auf die Darlegung des Sinnes und der
Bedeutung von Willensinhalten gerichtet, weil und wie sie gerade da
sind. Dabei arbeitet sie freilich nicht nur mit verallgemeinerten, abgezogenen
Begriffen, sondern sie sucht in dem begrenzten Stoffe eines bestimmten gesetzten
Rechtes wiederum eine bedingte Einheit herzustellen; und so mag es kommen,
daß es von den Ergebnissen ihrer Arbeit mit Fug heißt, wie Kant von dem Inter-
preten eines theoretischen Schriftstellers sagt: daß jener bei hingebender Nach-
forschung den Autor wohl auch einmal besser verstehen könne, als dieser sich
selbst verstanden hat. Wie stark dies jedoch auch bei einer juristischen Unter-
suchung auftreten möge: immer ist die dadurch zu gewinnende Erkenntnis eine
innerlich gebundene. Der technische Jurist hat nicht etwas festzustellen, Innerliche
was nach einem unbedingten Gesetze des Wahren und des Guten richtig ‚SPondenbeit
ist, sondern nur zu prüfen und darzutun, was andere Menschen in be- Juisprudenz.
dingter Zwecksetzung positiv gewollt haben und wollen.
Bei der Durchführung dieser gebundenen Aufgabe, deren technische Be-
wältigung ebenso nötig ist, wie reizvoll zu sein vermag, gibt es in der Geschichte