562 RUDOLF STAMMLER, Die Zukunftsaufgaben des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
Die drei Fragen ın grundlegender Bedeutung betont werden muß. Einmal dieses, daß die drei
der Rechts-
philosopbie.
Formale
Met
allgemeinen Rechtsfragen, die mit einer Darlegung von bedingtem
Inhalte bestimmten geschichtlichen Rechtes schlechterdings nicht beant-
wortet werden können, — das ist die Frage nach dem Begriffe des Rechtes,
nach der Begründung seines Zwangsanspruches, nach dem Merkmal der
sachlichen Richtigkeit eines gegebenen rechtlichen Wollens — sich nicht mit
einer einzigen Formel geschlossen auflösen kann. Es ist zunächst jede für sich
zu untersuchen und ihre Vereinigung erst wieder in dem Sinne auszuführen,
daß (in der eben gegebenen Reihenfolge) immer die Lösung der einen Frage
die Bedingung für das Aufnehmen und Beantworten der folgenden ist, in der
Lehre von dem richtigen Rechte dieses aber dann abschließend gipfelt.
Zum anderen ist die Rechtsphilosophie auf der scharfen Trennung von
und materiae formalen Methoden einer rechten Einsicht und von materialen Besonder-
Besonderheiten. heiten, die nach jenen bearbeitet sind, aufzubauen. Nur von jenen ersten ist
eine unbedingt gültige Lehre möglich. Das bunte Getriebe der stofflich be-
dingten, geschichtlichen Rechtseinrichtungen vermag für sich allein be-
handelt niemals einen festen Halt der Gedanken zu geben; und sobald
nur das leiseste Element von material bestimmtem, konkretem Wollen
und Anordnen in einer rechtlichen Betrachtung enthalten ist, so gilt sie eben
nicht allgemein.
Das Zweite, womit es also ein Jurist neben seinen Paragraphen, neben
dem besonderen Stoffe der geschichtlichen Rechte ständig zu tun hat, ist somit
nicht ein zweites „Recht“, nicht ein neuer Kodex angeblich ‚idealer‘
Rechtssätze, noch auch ein Inbegriff ‚sozial-ethischer‘‘ Normen bestimm-
ten Inhaltes außerhalb des Rechtes: jenes andere, das neben dem bunten,
wechselnden Material technisch geformter Satzungen steht, das bedeutet viel-
mehr eine grundsätzliche Richtung der Gedanken, eine einheitliche for-
male Art und Weise des Begreifens und des Urteilens.
Es ist diese Fragestellung und Methode, das Vertrautwerden mit der
Form eines rechtlichen Wollens, als einem eigenen Gegenstande wissen-
schaftlicher Erwägung, womit sich die lange vernachlässigte Philosophie des
Rechtes zu gutem und durchdringendem Einflusse wird erheben können. Im
Zusammenschlusse mit der oben (I.a.E.) erwähnten juristischen Methodik ist es
möglich: die reine Rechtslehre kritisch zu begründen und systematisch aus-
zuführen. Sie ist es, von deren begründendem Ausbau die Zukunft aller Beson-
derheiten des Rechtes und seiner Wissenschaft in bedingter Abhängigkeit steht.