'Zwei Aufgaben
des richtigen
Wollens.
Autonom und
heteronom,
40 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
Es liegen also zwei Aufgaben für richtiges Wollen vor. Es genügt nicht,
bloß die eine in das Auge zu fassen und auf sie allein zu verweisen, sondern es
ist zunächst eine jede von ihnen unter dem ihnen gemeinsamen Gesetz derZwecke,
das wir nannten, zu erwägen und in ihrer Besonderheit aufzulösen. So wird dem
fünften Gebot des Dekaloges in der Bergpredigt mit Grund die Abmahnung vor
dem zürnenden Gedanken gegenüber dem Nächsten erteilt und neben das Ver-
bot des Ehebrechens der Satz gestellt, daß, wer ein Weib ansieht, ihrer zu be-
gehren, schon die Ehe mit ihr ‚in seinem Herzen‘‘ gebrochen habe. Wer ander-
seits eine Ehe eingeht, von dem kann ich zunächst nur wissen, daß errechtlich
richtig will; ob er auch sittlich gut dasteht, das hängt noch ganz von der Art
der wünschenden Gedanken in seinem Innern ab. Die Geldheirat genügt einem
richtigen sozialen Wollen in restloser Art: Soll alles hier in Ordnung
sein, und das Grundgesetz der Zwecke auch zu einem richtigen sittlichen
Wollen verhelfen, so ist also eine doppelte Anleitung — bloß darauf
läuft unsere jetzige Scheidung der zwei Aufgaben hinaus — unentbehrlich.
In diesem Sinne will die viel berufene Anweisung, daß einem Verletzer auch
die rechte Wange noch zum Schlage hingehalten werde, kein Paragraph eines
richtigen sozialen Wollens sein, sondern eine Lehre des richtigen sittlichen
Wollens: Eine Richtlinie der Gedanken, nach der man jede Äußerlichkeit und
Einzelheit des möglichen Erlebens als solche geringschätzen, an keine für sich
ein Herz so hängen soll, daß beim Verluste man sich vernichtet fühlte.
Man hat dieses Verhältnis des sittlichen und des sozialen Wollens seit Kant
oft genug mit der Unterscheidung von autonom und heteronom kennzeichnen
wollen. Jenes entnehme seine Gesetzmäßigkeit der eigenen inneren Tätigkeit
des Menschen, dieses trete von außen an ihn heran und verlange nicht Morali-
tät, sondern bloß äußerlich übereinstimmende Legalität. Aber hierbei wird aus-
schließlich von dem Standpunkt des Einzelnen ausgegangen, wobei zwischen
den beiden Aufgaben des Wollens in fataler Weise ein notwendiger Zwiespalt
entsteht. Statt dessen muß festgehalten werden, daß das soziale Wollen gar
nicht mehr ein Wollen des Einzelnen für sich ist, sondern eine mehrere ver-
bindende Regel, die über ihnen steht. Es ist dieser Zweckinhalt, gleich-
viel von wem er nun in der besonderen Erfahrung gesetzt wird, der in seiner
eigenen Aufgabe — der Regelung des Zusammenwirkens — mit dem Grund-
gedanken des menschlichen Wollens überhaupt in harmonischen Einklang ge-
bracht werden soll. Es findet also der Gegensatz von heteronom und auto-
nom bei allem Wollen Anwendung, sowohl bei dem sittlichen (dem Innen-
leben) als bei dem sozialen (dem Zusammenwirken); heteronom ist ein Wollen,
das ein begrenztes Ziel als sein oberstes Gesetz nimmt, autonom dagegen
eines, das nach einer unbedingt gültigen Methode gerichtet ist.
Wenn wir nun die Aufgabe, das sittliche wie das soziale Wollen objektiv
zu analysieren, es in seinem Grunde und der Art des Inhaltes zu richten und
zu bestimmen, im besonderen nachgehen werden, so sei zuvor nochmals betont,
daß geläuterte Moral und richtiges Recht nur zwei besondere Aus-
führungen einer und derselben Gesetzmäßigkeit des menschlichen Wollens