44 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
Zwecke eines gesetzgeberischen Vorgehens zu sammeln und darzustellen und
gewisse abgegrenzte Postulate auf rechtliche Änderungen nur zu beob-
achten wünscht, der kann mit der Formel von der Gemeinschaft frei wollender
Menschen nicht das geringste anfangen. Sie ist bloß für den wertvoll, der nach
einer Antwort auf die Frage sucht: Was man eigentlich unter gesetzmäßiger
Art der Ausgestaltung eines sozialen Lebens zu verstehen habe, was denn die
Idee der sachlichen Gerechtigkeit heißen kann. Es ist dieser Begriff der
innerlich begründeten Richtigkeit eines Rechtes, der durch unsere
Formel seine logische Bestimmung erhält.
Das soziale Ich nenne diesen Grundgedanken das soziale Ideal. In seiner me-
deal. thodischen Betätigung läßt sich — wir haben das im folgenden noch darzu-
legen — die sachliche Berechtigung eines besonderen Rechtes feststellen und
die Einteilung dieses letzteren in zwei Klassen, in richtiges und unrichtiges,
erschöpfend begreifen. Es handelt sich sonach bei der Aufstellung des Be-
griffes vom sozialen Ideal um die Klarlegung eines methodischen Ver-
fahrens, das wir ständig, wenngleich meist ohne klare Überlegung, in kriti-
schen Urteilen über bestimmtes rechtliches Wollen anwenden, und dessen wir
nimmer entraten können. Unsere jetzige Betrachtung ist eine Besinnung darauf,
was wir wirklich tun, wenn wir einen gewissen Rechtsinhalt als sachlich be-
rechtigt bezeichnen oder dies ihm absprechen: Wir sagen im letzten Grunde
damit nichts weiter, als daß dieses besondere rechtliche Wollen in seiner kon-
kreten Lage von dem Gemeinschaftsgedanken geleitet sei oder diesen
verfehle.
Dagegen muß notgedrungen stets wieder betont werden, daß es sich in
dieser Betrachtung ganz und gar nicht um ‚‚ideale Rechtssätze‘‘ handelt. Das
soziale Ideal ist in dem hier erklärten Begriff nicht eine Utopie, überhaupt
nicht ein geforderter „idealer Rechtszustand'‘, sondern eine formale Me-
thode, empirisch sich aufdrängenden Stoff des geschichtlichen Rechtes zu rich-
ten. Und es heißt ‚‚Ideal‘‘ in unserem Sprachgebrauch, der dem althergebrachten
der Philosophie folgt, nicht etwa ein „Ziel‘‘, nach dem man zu streben, und
das man womöglich zu erreichen hätte: Ideal ist lediglich und uneingeschränkt
dasselbe, wie formale Gesetzmäßigkeit.
„Richtiges“ Recht ist ein nach der Rechtsidee gerichtetes
Recht. Der Gedanke der Richtigkeit kann nicht aus dem Begriffe des
Rechtes hergeleitet werden. Denn dieser ist eine Teilvorstellung und ermög-
licht nur eine Vereinheitlichung unter der einen abgegrenzten Klasse des Wollens.
Jetzt aber handelt es sich um die einheitliche Art und Weise, die die Allheit
von jemals möglichen Rechtsinhalten zur Grundlage nimmt. So kann das Ur-
teil über die Richtigkeit eines positiven Rechtes sich nicht auf dem Begriffe,
sondern nur auf der Idee des Rechtes aufbauen.
Diese aber ist, wie ausgeführt, nur eine Bewährung der Idee des freien
Wollens überhaupt. Sie hat mit den Gegensätzen im menschlichen Streben,
vor allem mit der möglichen Einteilung des sittlichen und des sozialen und
rechtlichen Wollens, noch gar nichts zu tun. Für die Formulierung des