Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Geformtes und 
auszuwäblendes 
Recht. 
54 RUDOLF STAMMLER: Wesen des Rechtes und der Rechtswissenschaft. 
Nur die rechtliche Art des Wollens, die eine von beliebigem und von will- 
kürlichem Wechsel unabhängige Verbindung erschafft, ist tauglich, schlechter- 
dings jeden sozialen Willensinhalt, gleichviel wo und wie er auftrete, dem bloß 
subjektiven Entscheide zu entziehen. Es ist also das Recht eine notwendige 
Bedingung für die Gesetzmäßigkeit des sozialen Lebens der Menschen, 
und darin liegt die Berechtigung des Rechtszwanges begründet. 
F. Die Ausführung des Rechtes. 
I. Die Technik des Rechtes. Technik ist jede Erwägung, die sich 
auf ein begrenztes Ziel beschränkt, — Theorie besagt die unbedingt ein- 
heitliche Art der Gedanken. In Wahrheit führt jede technische Erwägung, 
die einen sachlichen Wert haben soll, auf eine begründende Theorie zurück. 
Dagegen gibt es eine selbständige juristische Technik als die Lehre von 
dem rechtlichen Ausdruck. Sie ist notwendig, weil das Recht die Men- 
schen verbindet und darum sich ihnen mitteilen muß; und sie besteht als solche 
dann mit einer allgemeinen Geltung. 
Es gibt zwei Arten des rechtlichen Ausdruckes. 
Das geschichtlich vorliegende Recht bietet sich zunächst als eine Summe 
von technisch geformten Sätzen dar. Sie liegen heute zumeist in den Ar- 
tikeln und Paragraphen unserer staatlichen Gesetze vor, in früheren Zeiten 
gar vielfach in festen Bräuchen und Gewohnheiten, deren Fassung dann einzeln 
und in Sammlungen oft geschehen ist. Sie alle sind ihrem besonderen 
Stoffe nach aus früherem sozialen Leben her erwachsen und ein Niederschlag 
des Strebens, für den geschichtlich einmal gegebenen Inhalt dieser Rechts- 
ordnung im einzelnen Ausbau das Richtige zu bieten und die sachlich rechte 
Entscheidung fest formuliert für vorkommende Fälle zur Verfügung zu stellen. 
Aus anderer Erfahrung her schwebt dem Recht Setzenden die Möglichkeit 
eines späteren Zweifels in besonderen Rechtslagen vor, und er sucht, eine sichere 
Norm in allgemeiner Fassung als maßgeblich dafür zu bieten. Die erste Auf- 
gabe des Rechtsgelehrten ist danach die Erkenntnis dieser technisch ge- 
formten Anordnungen seines Rechtes, die er in einheitlicher Auffassung dar- 
zulegen und wiederzugeben hat. 
Aber die Begriffe gesetztes Recht und geformtes Recht sind nicht ein 
und dasselbe. Das letztere ist nur ein Teil des ersteren, die eigene allgemeine 
Fassung von Normen durch den Gesetzgeber nur eines von zwei Mitteln, um 
seinen Zielen nachzugehen. Es kann nämlich das gerade in Geltung stehende 
Recht für eine einzelne Frage, die der rechtlichen Erwägung sich stellt, nicht 
schon selbst einen bestimmten Satz formen, sondern den Streitteilen und dem 
Urteiler es ermächtigend überlassen, daß sie die richtige Regel der Entscheidung 
wählen. Auch diese Regel stellt sich als ein geschichtlich bedingter Satz von 
bestimmtem gesetzten Rechte dar, nur ist er nicht von dem Gesetzgeber 
als ein allgemeines Gesetz in selbst gefertigter Fassung bereit gestellt, son- 
dern erst im besonderen Bedarfsfall in eigenem Suchen des Richtigen von
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.