„Begriffs
jurisprudenz‘',
554 RUDOLF STAMMLER: Die Zukunftsaufgaben des Rechtes und der Rechtswissenschaft.
Unterschiede des Grades in verhältnismäßiger Abweichung voneinander. Diese
relativen Verschiedenheiten sind für die Kultur der Gegenwart, wie für die ihr
entspringenden Zukunftsaufgaben bedeutsam. Sie treten besonders deutlich
gekennzeichnet in den Zuständen des früheren gemeinen Rechtes von Deutschland
gegenüber denen der neueren Gesetzbücher hervor. In jenen ersten waren be-
kanntlich bis vor kurzem die Quellen, denen der Inhalt des geltenden Rechtes
zu entnehmen war, in zerfahrenem und unruhigem Zustande. Aus alten Zeiten
her zu uns gekommen, aus anderem sozialen Leben hierhin verpflanzt und doch
unzähligemal einheimisch gemodelt, in fremder Sprache verfaßt, häufige Un-
sicherheit des Textes schon bietend, aus vergessenem Einzelanlaß vielfach ent-
standen und in kasuistischer Form überwiegend gegeben: so gab die Überlieferung
des rezipierten gemeinen deutschen Rechtes, in allen seinen sachlichen Abtei-
lungen, dem es ordnenden und sichtenden und klärenden Juristen Schwierig-
keit und Freiheit bei der Feststellung des wirklichen Rechtsgebotes zugleich.
Und über dem erhob sich dann erst Zweifel und Streit über die rechte technische
Vereinheitlichung, die juristische Konstruktion des überlieferten Rechtsstoffes,
Kontroversen, die nur zu oft in der Unsicherheit der materialen Unterlage ele-
mentar ihren Ursprung hatten. Jetzt hat die rastlos arbeitende Gesetzgebung
des modernen Staates je länger je mehr die Revision und Klärung der stoff-
lichen Anordnungen des geltenden Rechtes in die Hand genommen. Dem tech-
nischen Juristen ist dadurch einerseits ein beträchtlicher Teil der ehedem ge-
botenen Vorarbeit entzogen, auf der anderen Seite eine bedeutend festere Grund-
lage für die systematische Konstruktion geliefert. Aber in allen Wendungen
und Wandlungen solcher Art bleibt die ihm gestellte Aufgabe in dem vorhin
angegebenen Sinne grundsätzlich unverändert.
Nun wird kein sachkundiger Beobachter in Abrede stellen, daß unsere
technische Jurisprudenz einen hohen Grad von Leistungsfähigkeit aufzuweisen
in der Lage ist, und daß sie sich in den geschilderten Verschiedenheiten ihres
Sonderberufes jedesmal wohl bewährt hat. Sie hat es trefflich verstanden, den
vorliegenden geschichtlichen Stoff unseres Rechtes gründlich zu beackern und
zu durchfurchen und manchmal (wie „die Schatzgräber‘‘ bei Bürger) die Erde
gar durchs Sieb zu werfen. Ihr Ziel, den gegebenen Inhalt des geltenden Rechtes
zuverlässig herauszuschälen und übersichtlich darzustellen, hat sie gut erreicht.
Zwar ist es ihr nicht erspart geblieben, mit dem Stichworte der „Begrifis-
jurisprudenz‘‘ rezensiert zu werden. Aber dieser Vorwurf dürfte im letzten
Grunde auf einer Unklarheit beruhen. Denn er nimmt an, daß der ‚Inhalt‘
eines Rechtes und seine ‚„‚Begriffe‘‘ zwei auseinanderfallende Dinge seien, die
jeweils für sich beständen. In der Tat kommt keines ohne das andere vor. Ein
Bestimmen des einen heißt zugleich das andere bestimmen; ein Verfehlen der
rechten Erkenntnis von diesem besagt einen Irrtum in jenem: Sonach vermag
es gar nicht einen prinzipiellen Irrtum zu bedeuten, daß man bloß die „Be-
griffe‘‘ pflege, anstatt den realen Inhalt des Rechtes zu bearbeiten, sondern mit
jeder Rechtsbetrachtung ist beides ganz von selbst und unvermeidlich gegeben.
Daher kann es immer nur eine einzelne Frage sein, ob ein begrifflich gefaßter