Full text: Die Kultur der Gegenwart. Band 2.8. Systematische Rechtswissenschaft. (8)

Einleitung. A. Geschichtliches. 69 
schen Rechts gelehrt. Die deutsche Rechtswissenschaft war eine Tochter der 
italienischen. Die deutschen Juristen hatten in Italien das römische Recht als 
das überall Geltung begehrende Weltrecht studiert. Sie hatten an der Hand 
der italienischen Juristen die römischen Rechtsbegriffe in sich aufgenommen. 
Diese von innerer Klarheit strahlenden Rechtsbegriffe erschienen ihnen als 
durch die Natur der Dinge selbst gegeben, als von ewig gültiger Art. So wandten 
die deutschen Juristen zwar das einheimische deutsche Ortsrecht an, soweit es 
durch den Buchstaben eines Statutes, Gesetzes oder durch unzweifelhafte 
Rechtsgewohnheit gedeckt war. Denn sie lebten keineswegs der bewußten Ab- 
sicht, deutsches Recht abzuschaffen. Soweit es aber an deutlich herausgearbei- 
teten kategorischen örtlichen Rechtssätzen fehlte — und das war natürlich in 
sehr weitgreifendem Maße der Fall —, schöpften sie das anzuwendende Recht 
nicht aus dem Geiste der einheimischen Ortsrechte (dessen Geist zu beschwören 
hatten sie nicht gelernt), sondern aus dem Geiste des römischen Rechts, d.h. 
aus den römischen Rechtsbegriffen, diesen von der Wissenschaft vertretenen 
allein möglich scheinenden Begriffen. Durch das Mittel der gelehrten Recht- 
sprechung drang darum überafl im Deutschen Reich das römische Privatrecht 
(das sog. Pandektenrecht) in die ‚„Lücken‘‘ der deutschen Partikularrrechte ein. 
Das römische Recht ward, wenngleich mit gewissen Änderungen, die teils die 
Reichsgesetzgebung, teils die Rechtswissenschaft durchsetzte, um das Recht 
des Corpus Juris für uns geschickt zu machen, gemeines deutsches Privatrecht 
des heiligen römischen Reiches. In dieser Form ward das Bedürfnis der Zeit 
nach einem neuen Recht befriedigt. Es war ein dem Verkehre zugewandtes 
Recht gewonnen worden. Das Meisterstück des römischen Privatrechts war 
gerade das Recht der Schuldverhältnisse, d.h. der dem Austausch von Ver- 
mögensleistungen dienende Teil des Privatrechts. Deutschland war damit zu 
einem gemeinen und zu einem bürgerlichen, allerdings nur zu einem bürger- 
lichen Recht römischer Art gelangt. Die Aufgabe der Zukunft war, das nun- 
mehr bei uns zur Geltung gelangte römische bürgerliche Gesetzbuch durch ein 
deutsches bürgerliches Gesetzbuch zu ersetzen. 
Ill. Die Kodifikationen. Die Folge der Aufnahme desrömischen Rechts Gegensatz 
war zunächst die Zweiheit des Rechts, des gemeinen Rechts einerseits und des do ermeinen 
Partikularrechts andererseits. Das gemeine im ganzen Reiche gültige Recht Partikularrechts. 
fiel in der Hauptsache mit dem fremden Recht zusammen. Es war durch die 
Aufnahme des fremden Rechts erzeugt worden. Das gemeine deutsche Privat- 
recht war wesentlich römisches „Pandektenrecht‘‘. Die Partikularrechte, also 
die deutschen Landrechte, Stadtrechte, Ortsrechte, bedeuteten umgekehrt die 
noch aufrecht gebliebenen Reste des einheimisch deutschen Rechts. Das 
partikuläre Privatrecht, z. B. das eheliche Güterrecht der Stadtrechte und 
Landrechte, war in der Hauptsache deutsches Privatrecht im eigentlichen Sinne 
des Wortes. 
Zwei Jahrhunderte lang (von 1500 bis 1700) lag die Kraft der deutschen ic ke lung 
Rechtsentwickelung auf dem Gebiete des gemeinen Rechts. Hinter dem ge- euren
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.