76 RUDOLPH SOHM: Bürgerliches Recht.
in der nahe verwandten Schweiz (Schweizerisches Obligationenrecht von 1881,
jetzt gültig in der Fassung vom 30. März ıgıı als „Ergänzung des schweize-
rischen Zivilgesetzbuches‘‘; Schweizerisches Zivilgesetzbuch von 1907, in Kraft
seit dem ı. Januar 1912).
In Deutschland war das Begehren nach einheitlicher Rechtsgestaltung
schon im Laufe des 19. Jahrhunderts zu immer größerer Gewalt gelangt: dem
deutschen Volke, der deutschen Wirtschaft ein deutsches Recht! Auf dem Ge-
biete des Handels- und Wechselrechts war das Einheitsbedürfnis so stark, daß
es schon vor der Gründung des Deutschen Reichs in gewissen Grenzen zu seiner
Befriedigung durch die deutsche Wechselordnung von 1848 und durch das ‚,‚all-
gemeine deutsche Handelsgesetzbuch‘‘ von 1861 gelangte. Beide Gesetze waren
in den einzelnen deutschen Ländern nur kraft der Publikation als Landes-
gesetz verbindlich. Aber die Landesgesetzgebung hatte überall die gleiche
Wechselordnung und das gleiche Handelsgesetzbuch publiziert, also zwar for-
mell Partikularrecht, aber doch für alle deutschen Staaten übereinstimmendes
Partikularrecht geschaffen. Der Kaufmann erreichte zuerst ein übereinstimmen-
des Recht für ganz Deutschland in seinen eigentümlich kaufmännischen An-
gelegenheiten. Die Hauptsache aber war, auch für den Kaufmann, zu einer
Einheit des Privatrechts überhaupt zu gelangen, zumal ja das gemeingültige,
für jedermann, nicht bloß für den Kaufmann, bestimmte Privatrecht auch in
Handels- und Wechselsachen überall ergänzend einzugreifen hatte. Solches
Ziel zu erreichen aber war erst nach der Gründung des Deutschen Reiches
möglich.
Im Anfang des 19. Jahrhunderts hatte Savigny in einer berühmten
Schrift (Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft,
I. Aufl. 1814) seinem Zeitalter den Beruf zur Gesetzgebung abgesprochen. Seine
Meinung war, daß es an der Fähigkeit zur Neugestaltung unseres Rechts durch
ein deutsches Gesetzbuch mangele. In Wirklichkeit wird der Beruf zur Gesetz-
gebung niemals durch die Fähigkeit zur Gesetzesabfassung (die immer eine sehr
unvollkommene ist), sondern allein durch das praktische Bedürfnis gegeben.
Was in Wahrheit zu Savignys Zeit fehlte, war der Mangel einer politischen
Organisation, einer Staatsgewalt, die das Gesetzgebungswerk für ganz Deutsch-
land hätte auf ihre Schultern nehmen können. Das ward nunmehr anders. Mit
der Gründung des Deutschen Reichs trat der Gesetzgeber auf, der solches
Werkes mächtig war.
Die Verfassung des Norddeutschen Bundes wies der Bundesgewalt nur
die Gesetzgebung über das Obligationenrecht, also über das Recht der Schuld-
verhältnisse zu (Art.4. Ziff. 13). Die deutsche Reichsverfassung von 1871
(Art. 4. Ziff. 13) schloß sich zunächst diesem Vorbild an. Aber schon durch
Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 ward ‚‚das gesamte bürgerliche Recht‘
in die Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung einbezogen.
Die Arbeit ward sofort in Angriff genommen. Schon 1874 ward eine Kom-
mission für die Ausarbeitung eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs nieder-
gesetzt. Im Jahre 1888 erfolgte die Veröffentlichung des Entwurfs (des sog.