Schutz
des gutgläubigen
Erwerbs.
Freiheitliche
Ordnung
des Privatrechts,
78 RupoLpH SoHM: Bürgerliches Recht.
B, Charakter und Inhalt des bürgerlichen Gesetzbuchs.
I. Charakter. Das bürgerliche Gesetzbuch ist inhaltlich an erster Stelle
nicht aus dem römischen Pandektenrecht, sondern aus den deutschen Landes-
rechten hervorgegangen. Vornehmlich ist das preußische Recht, teilweise auch
das sächsische Gesetzbuch grundlegend gewesen. Das bürgerliche Gesetzbuch
bedeutet geschichtlich den Sieg der deutschen Landesrechte über das im 16. Jahr-
hundert rezipierte Pandektenrecht.
Das im bürgerlichen Gesetzbuch enthaltene Recht ist bürgerliches Recht
im sachlichen Sinne des Worts, d. h. städtisches, kaufmännisch gedachtes, geld-
wirtschaftliches Privatrecht. Die Eigenart des bürgerlichen Gesetzbuchs be-
steht in der Kraft, mit der die Anforderungen des Verkehrs erfaßt und in Ge-
stalt von Gesetzesparagraphen zu rechtlicher Geltung gebracht sind.
Die Sicherheit des Verkehrs erfordert vor allem den Schutz des gutgläubigen
Erwerbs. Dieser Gedanke ist zum Leitstern der verkehrsrechtlichen Bestim-
mungen des bürgerlichen Gesetzbuchs geworden. Er ward noch nie mit so
vollendeter Kunst durchgeführt. Er greift (durch die Rechtssätze vom Güter-
rechtsregister) selbst in das Familienrecht und (durch die Rechtssätze vom Erb-
schein) in das Erbrecht über. Soweit der Verkehr in Frage kommt, erscheint
der gutgläubige Erwerber als die Hauptperson im bürgerlichen Gesetzbuch.
Sein Schutz hat den Vorrang vor dem Schutz des in Wahrheit Berechtigten.
Das bestehende Eigentum muß weichen, damit der Verkehr lebe. Der Geist
des Landmanns bestimmte einst das mittelalterliche, der Geist des Kaufmanns
aber das im bürgerlichen Gesetzbuch enthaltene neue deutsche Recht.
Es hängt damit zusammen, daß das Privatrecht des bürg@rlichen Gesetz-
buchs liberal ist. Das bürgerliche Gesetzbuch kennt keine Unterschiede der
Rechtsfähigkeit. Es kennt keine Standesunterschiede, keinen Unterschied des
Geschlechts, der Staatsangehörigkeit. Die Frau ist dem Manne grundsätzlich
gleichgestellt, nicht bloß in der Rechtsfähigkeit, sondern auch in der Fähigkeit,
ihre Geschäfte selbständig abzuschließen (Geschäftsfähigkeit). Nur in der Ehe,
wo das Wesen des Rechtsverhältnisses in der Geschlechtsverschiedenheit be-
ruht, tritt der Gegensatz von Mann und Frau hervor. Freiheit und Gleichheit
ist der Grundgedanke des im bürgerlichen Gesetzbuch enthaltenen Per-
sonenrechts.
Dementsprechend gilt auf dem Gebiete des Vermögensrechts die Freiheit
des Eigentums, auf dem Gebiete des Schuldrechts die Vertragsfreiheit der
Parteien, auf dem Gebiete des Erbrechts die Testierfreiheit des Erblassers.
Das bürgerliche Gesetzbuch kennt kein unfreies, unveräußerliches bzw. un-
verschuldbares Eigentum. Es kennt keine Verschuldungsgrenze und keine
Teilungsgrenze. In der Freiheit der Verfügung von Todes wegen (Testierfreiheit)
vollendet sich die Freiheit des Eigentums. Der Erblasser kann von Todes wegen
verfügen, wie er will. Er kann enterben und zum Erben einsetzen, wen er will.
Den von ihm durch Verfügung von Todeswegen ausgeschlossenen nächsten
Angehörigen (seinen Kindern, seinem Ehegatten, seinen Eitern) steht in Form des