* A. Herkunst und Wesen der deutschen Institutionen # 201
ben seinen Schattenseiten und schädlichen Folgen als ein mit großen
Vorzügen versehenes: es gebe dem armen Adel Versorgung, dem unbe-
schäftigten Proletarier Arbeit und Unterhalt; das arme Preußen habe
dabei die gleiche Geburtenzahl wie die glücklichsten, fruchtbarsten Län-
der Europas.
Im übrigen wuchs die negative Kritik gegen das preußische Militär-
spstem von 1786 bis 1806 immer mehr. Die älteren Offiziere zwar ver-
teidigten es schroff, aber die öffentliche Meinung und die junge Gene-
ration der fähigsten Offiziere forderte mehr und mehr die Beseitigung
der ansländischen Werbung, die Schaffung von Neserve= oder Miliz-
truppen oder gar schon die allgemeine Wehrxpflicht.
Die Regierung war bis 1806 nicht energisch und kühn genug zu einer
großen Reform, der falsche Krieg gegen Frankreich 1792 bis 1795, die
falschen Teilungen Polens 1793 bis 1795, die nur äußerlich, nicht inner-
lich Preußen gestärkt haben, waren zu kostspielig gewesen, um Geld für
militärische Reform übrig zu lassen. Sie kam aber von 1808 bis 1820;
es kam die allgemeine Wehrpflicht, die Schaffung einer großen Land-
wehr neben der Linienarmec, eine vollständige MAcubildung des Offizier-
korps mit Gleichstellung der Adligen und der Bürgerlichen. Die Schaf-
fung eines mäßig großen Friedensheeres mit 3jähriger Präsenzpflicht
neben einer großen Landwehr 1. und 2. Aufgebots auf Grund allgemei-
ner Wehrpflicht, wie sie dem Kriegsminister v. Boyen 1814 bis 1815
gelang, war auch unter dem Kriegsdruck nicht leicht gewesen. Es war
einc Tat der großen idealistischen liberalen Staatsmänner und Generale,
zu der der unschlüssige König Friedrich Wilhelm III. sich nur entschloß,
da Boyen sie ihm geschickt als eine bloße Fortsetzung des bereits Be-
stehenden darstellte. Die Minister Altenstein und Dohna waren 1810,
wic später die Berliner Stadtverordneten, im angeblichen Interesse der
Kultur gegen die allgemeine Wehrpflicht gewesen. Scharnhorst dachte an
ein stehendes Heer der Besitzlosen, an eine daueben stehende Miliz der
oberen Klassen. Gneisenau freilich schob auf die stehenden Soldheere die
Entnervung und Entartung der Völker, das Erlöschen des Gemein-
sinns. Die allgemeine Wehrpflicht, sagt er, vermengt die höheren und
die unteren Ständea, beseitigt die sozialen Vorurteile, nötigt zu besserem
Unterricht der gemeinen Leutc, ruht auf dem moralischen Prinzip, wel-
ches die Massen in Bewegung setzt und ineinander verschmilzt. Der
Freiherr von Stein sieht in der allgemeinen Wehrpflicht das wichtigste
Mittel, den Gemeinsinn zu erzeugen, die Meigung der höheren Stände
zu unkriegerischer und feiger Gesinnung und den Gegensatz der ver-
schiedenen Stände untereinander zu bekämpfen.