Full text: Deutschland und der Weltkrieg.

  
Deutschland und das Weltstaatensystem 6 45 
  
Anfängen einer starken Hochseeflotte zur Erscheinung kamen. Dic eng- 
lische Politik nahm scitdem, durch Japan gegen Rußland gedeckt, eine 
entschieden feindselige Wendung gegen Deutschland. König Edward VI., 
der kurz vorher den Thron bestiegen hatte, wurde der Urheber jener Ein- 
kreisungspolitik gegen Deutschland, die durch die Entente cordiale mit 
Frankreich 1901 eröffnet und durch die Hereinziehung Rußlands in dic- 
ses Einvernehmen 1907 fortgesetzt wurde. Die Vollendung erfolgte einige 
Jahre später durch die Abmachungen, die Sir Edward Grey mit den bei- 
den Regierungen traf und die aus der Entente ein förmliches Kriegsbünd- 
nis gegen Oeutschland gemacht haben. Die Entwicklungsstufen und Macht- 
proben dieser Einkreisungspolitik, die Versuche zu einer Entspannung, 
die Einwirkungen der letzten Balkankricge, der Ausbruch des gegen- 
wärtigen großen Weltkrieges werden in späteren Kapiteln dieses Buches 
behandelt werden und bleiben daher hier unberücksichtigt. Es wird 
hier nur noch angebracht sein, einige allgemeine Betrachtungen über 
die Natur der Beziehungen zwischen den in Betracht kommenden Mläch- 
ten und den Sinn ihrer Interessenkonflikte hinzuzufügen, um die Orien= 
tierung der deutschen Politik in den letzten Jahren vor der Katastrophe 
anzudeuten. Es handelt sich dabei hauptsächlich um NRußland und 
England. 
Mit Rußland hatte das Deutsche Reich direkt eigentlich keine emp- 
findlichen Reibungsflächen, und die Absicht der deutschen Politik war, 
namentlich seit 189, offensichtlich darauf gerichtet, die alten guten Be- 
ziehungen zwischen den beiden Nachbarstaaten wiederherzustellen. Die 
Haltung Deutschlands in der für Rußland so schweren Zeit des Ja- 
panischen Krieges und der inneren Erschütterungen war so freundschaft- 
lich, wie die ciner neutralen Macht nur sein kann; man erinnert sich des 
hochherzigen Wortes Kaiser Wilhelms: russische Trauer deutsche Trauer! 
Von der russischen Publizistik ist neuerdings mit scharfer Betonung her- 
vorgehoben worden u), Deutschland habe sich die Notlage Rußlands 
190 zunutze gemacht, um in dem damals ernenerten Handelsvertrage 
günstigere Bedingungen zu erlangen, als sie mit dem Interesse Ruß- 
lands eigentlich vereinbar gewesen seien. Es ist richtig, daß diese Be- 
dingungen für uns günstiger waren als die des ersten Bertrages von 1891. 
Aber damals war Deutschland in einer Art von Zwangslage gewesen, 
die von Rußland ausgenutzt wurde, und es war nur billig, daß, als 
diese Lage sich geändert hatte, Deutschland für seine wirtschaftlichen 
11) Vgl. z. B. den Artikel des Fürsten Kotschubey aus dem Pariser „Corre-= 
spondant“ (Juni 1911), in deutscher Ubersetzung: Preuß. Jahrbücher, September 
1914, S. 181 ff.
	        
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