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Berichte der kgl. Reggierungs-Präsidien, dann des eingeholten
Gutachtens des Obermedizinal-Ausschusses liegen den vielfachen
Gesundheitsstörungen auf dem platten Lande außer den in dem
bezeichneten Ausschreiben angeführten Ursachen vorzüglich auch
die in mehreren Gegenden einzelner Regierungsbezirke herrschende
große Armuth, die Frreligiosität und Unsittlichkeit, die allge-
mein erhöhte und vermehrte Begehrlichkeit und Genußsucht, die
fehlerhafte physische Erziehung rer Kinder, und die Vernach-
lässigung der Kinder-Krankheiten, zu frühes Heirathen vor ent-
wickeltem Körper, und das Heirathen nur in verwandten Fa-
milien in mancher Gegend, die Natur der Beschäftigung der
Landbevölkerung selbst, u. s. w. mit zu Grunde.
Insbesondere wird die Kleidung der Landbevölkerung viel-
fach als zu dürftig und nicht hinreichenden Schutz gegen die
Kälte und Nässe gewährend, als nicht zweckmäßig, bei Mädchen
die Ausbildung der Brüste und Lungen, bei Entbundenen das
Säugen der Neugeborenen hindernd geschildert, und als sehr
unreinlich, nicht gehörig gelüftet, gewaschen bezeichnet.
Die Nahrung ist meist sehr roh und schlecht bereitet, die
Kost namentlich für Kranke unzweckmäßig, das Brod oft nicht
ausgebacken; die Neugeborenen werden statt mit Muttermilch
mit grobem zähen und zu heißen Mehlbrei genährt.
In mancher Gegend ist das Trinkwasser, das Bier, der
Wein schlecht, der Branntwein fuselig.
Die Wohnzimmer und häufig auch die Schulstuben
sind zu klein, niedrig und übelbeleuchtet, überfüllt, feucht, nicht
genug gelüftet, und unreinlich. Die ungeheizten Schlafstuben
sind zugleich die Vorrathskammern für Nahrungsmittel, schmutzige
Kleider, Leinwand und Wäsche. Unmittelbar vor den Häusern
und gar häufig vor den engen Fenstern der Schlafstellen stehen
hochaufgeschichtete, übeldünstende Misthaufen. Viele Häuser, ja
ganze Dörfer sind häufigen Ueberschwemmungen ausgesetzt, und
werden, ohne je ganz trocken zu werden, sogleich nach dem Zu-
rücktreten der Gewässer wieder bezogen.
Schwächliche, unentwickelte Kinder, namentlich Mäd-
chen, werden zum Tragen jüngerer Kinder angehalten, zu frühe
schon auf anstrengende, oder sonst nachtheilige Weise beschäftigt,
jüngst Entbundene unterziehen sich anstrengenden, körperlichen
Arbeiten.
Die Aufsicht auf die Kinder ist mangelhaft, sowohl in den