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Die Einkommensteuer hat als eine direkte Steuer bekannt-
lich für die unteren Volksklassen große Nachteile. Da sie
nämlich verhältnismäßig große Zahlungen in zum voraus fest-
gesetzten Terminen fordert, so muß sie schon insofern für jene
Klassen besonders ungeeignet sein, als viele der letzteren nur
sehr schwer für bestimmte Zeiten sich größere Beträge anzu-
sammeln und aufzubewahren imstande sind. Um hierfür nur
einige Belege anzuführen, so waren in Leipzig im Jahre 1901
erlassen worden: 162236 kostenpflichtige Mahnungen bei
205933 zur städtischen und Staats-Einkommensteuer einge-
schätzten Personen!), d. h. auf je 100 Eingeschätzte kamen
pro Jahr etwa 79 Mahnungen. Klarer und sicherer noch treten
die Schattenseiten der Einkommensteuer für die unteren Klassen
in der Zahl der Pfändungsanträge zutage. So sind in Leipzig
im Jahre 1901 wegen der Staats- und städtischen Einkommen-
steuer allein 51 180 Pfändungsanträge?) gestellt worden, d.h.
auf je 100 Eingeschätzte kamen ca. 25 Pfändungsanträge.
Viel schlimmer noch liegen aber die Verhältnisse in der
Stadt Chemnitz. Nach einem auf Veranlassung des Stadtrats
vom Statistischen Amt zu Chemnitz dem Verfasser freundlichst
zugegangenen Berichte gingen dort im Jahre 1901: 208501
Mahnzettel bei 87973 zur Staats- und städtischen Einkommen-
steuer eingeschätzten Personen hinaus, d. h. auf je 100 Ein-
geschätzte kamen im Jahre 237 Mahnungen. Im Jahre 1902
wurden sogar 231009 Mahnungen bei 87741 eingeschätzten
Personen erlassen, d. h. auf je 100 der letzteren entfielen 263
Mahnungen. Anträge auf Zwangsvollstreckung aber wurden
im Jahre 1901 gestellt: 63546, d. h. auf je 100 (zur Staats-
und städtischen Einkommensteuer) eingeschätzte Personen: 72.
Im Jahre 1902 wurden sogar 77189, d. h. auf je 100 Ein-
geschätzte etwa 88 (!) Pfändungsanträge gestellt.3) Die in
diesen Zahlen zutage tretenden geradezu empörenden Steuer-
mißstände erklären sich wohl vorzugsweise daraus, daß die
städtische Einkommensteuer in Chemnitz keine Grenze für
steuerfreies Einkommen hat.
Erwägt man nun endlich noch, daß der ganze Umfang der
hier in Rede stehenden Vergeudung an Arbeit und Kosten der
Steuerbehörden wie der Zensiten selbst durch alle diese Zahlen
1) Vgl. Verwaltungsbericht der Stadt Leipzig für das Jahr 1901 Kap.
XVII A und C. —
In Leipzig wurde im Jahre 1901: 130 % Zuschlag zur Staatseinkommen-
steuer zur Deckung des kommunalen Bedarfs erhoben. Die Steuerunter-
grenze beträgt dort 500 M.
2) Hiervon. waren 7192 Pfündungen ohne Erfolg.
.‘) Diese starke Zunahme der Pfändungsanträge von 1901 auf 1902
erklärt sich vorzugsweise daraus, daß im letzteren Jahre die Staatsein-
kommensteuer infolge eines außerordentlichen Zuschlags von 25% in
drei Terminen statt in zwei, wie sonst, erhoben wurde.