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jenes ‚Opferausgleiches“ aber ist in der Steuerfähig-
keit der Steuerpflichtigen, d. h. dem Maße ihrer Fähigkeit,
Steuern zu zahlen, gegeben.!) Und nimmt man nun diesen
Grundsatz der Besteuerung nach der Steuerfähigkeit (Steuer-
kraft) der einzelnen bei Beurteilung der Ertragssteuern zum
Leitstern, so findet man, daß gerade bei diesen Steuern jenes
Gebot arg verletzt wird. „Ertragssteuern und Berücksichti-
gung der persönlichen Leistungsfähigkeit“ — so heißt es tref-
fend in der preußischen Denkschrift von 1892 — „sind Gegen-
sätze, welche sich bei der heutigen Ausbildung des wirtschaft-
lichen Lebens überhaupt nicht miteinander vereinigen lassen.“
Gedenken wir zunächst
l. der Unmöglichkeit, dem sogen. Existenzminimum
durch Steuerfreiheit in gebührender Weise Rechnung zu tragen.
Jene Forderung tritt um so berechtigter und dringender zu-
tage, wenn man erwägt, daß, wie später eingehender zu zeigen
ist, gerade die unteren Klassen im allgemeinen in bedenklichem
Maße mit indirekten Steuern belastet sind.2) Die Freilassung
der niederen Einkommen bei den Ertragssteuern ist bekannt-
lich deshalb nicht durchzuführen, weil letztere sich an das
einzelne Objekt als solches halten, ohne daß hierbei natür-
lich nach den persönlichen Verhältnissen des Eigentümers des-
selben zu fragen ist.
2. Als weitere Schattenseite der Ertragssteuern tritt die
Nichtdurchführbarkeit gerechter Steuerprogression her-
vor. Selbst da, wo man, wie z. B. in der früheren Kapital-
rentensteuer in Sachsen, dem Anscheine nach eine Progression
durchgeführt findet, ist diese doch eben nur eine formale und
nicht eine im eigentlichen Sinne gerechte Progression, wie
man sie bei der allgemeinen Einkommensteuer kennt, wo mit
steigendem Einkommen auch die von demselben zu zahlenden
Prozentsätze steigen. Bei den Ertragssteuern aber bezieht sich
die Progression, was ganz in der Natur der Sache liegt, nur auf
die Erträge einzelner Objekte, also nur auf Teile des Ein-
kommens.
3. In engem Zusammenhange mit dem vorigen steht der
weitere Übelstand, daß der Forderung gerechter Berücksich-
tigung persönlicher Verhältnisse wie großer Familie, von
Alter, Krankheit usw. bei jener Art von Steuern nicht zu ge-
nügen ist. Denn man fragt hier eben nicht nach den Per-
sonen und ihren Verhältnissen, sondern nur nach der Gestal-
tung der einzelnen Objekte als solche.
4. Jenen Objektsteuern wird ferner die Nichtberücksich-
tigung der Schulden zum Vorwurf gemacht. Namentlich bei
1) Vgl. Fr. J. Neumann, Dice Steuer nach der Steuerfähigkeit, im
Jahrb. für Nat. u. Stat., Teil I, 1880. Teil II, 1881.
2) Vgl. u. a. Fr. J. Neumann, Die persönl. Steuern vom Einkommen,
S. 41 ff.