Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Erster Band. (1)

Aus den Jahren 1850 bis 1866 65 
bayrischen Ministerpräsidenten. Nur ein Staatsmann, an dessen korrekt 
bayrischer Gesinnung nicht zu zweifeln war, konnte das Vertrauen König 
Ludwigs II. gewinnen und die nationale Haltung dieses Fürsten in den 
großen und entscheidenden Fragen der deutschen Politik bestimmen. 
1. Paris und Rußland. 
Im Dezember 1850 reiste der Fürst mit seiner Gemahlin für mehrere 
Monate nach Paris. Von dort schrieb er der Prinzessin Amalie am 
15. Dezember: 
.. Die ersten acht Tage benutzten wir neben unsern Einrichtungs- 
geschäften, die verschiedenen Theater zu besuchen, weil dies nicht mehr 
möglich ist, wenn man abends ausgeht ... Die Theater sind interessant 
und lehrreich, was die Sprache anbetrifft. Madame Rachel und Madeleine 
Brohan in der Comedie Francaise sind sehr merkwürdig. Letztere wird 
besonders ihrer Schönheit wegen applaudiert, erstere ist über alle Kritik 
erhaben, so daß man sogar ihr Judengesicht vergißt. Im Thäatre de 
la Gaité wird ein Melodrama „Paillasse“ gegeben, das von Fredéric 
Lemaitre außerordentlich gut dargestellt wird. Die neue Oper „LVenfant 
prodigue“ von Auber ist der Gegenstand aller Unterhaltung. Es ist die 
Geschichte aus der Bibel und spielt in Aegypten und Palästina. Ein größeres 
Aergernis als diese Oper kann man sich nicht denken, ja am Schluß 
kommt eine Szene vor, wo der Himmel sich auftut und man die Engel 
mit Harfen sieht. Die Dekorationen sind prachtvoll, die Musik elend, und 
während fünf Stunden muß man dieses Gebärmel mit anhören. Einmal 
und nicht wieder! 
Madame Sontag sah ich im „Barbier de Séville“. Ein sonderbarer 
Eindruck, nachdem ich sie zuletzt in ihrem Salon in Berlin gesehen hatte. 1) 
Unsre „entrée dans le monde“ haben wir bei Frau von Narischkin 
gemacht. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, uns möglichst schnell 
bekannt zu machen, und hat dies mit der größten Freundlichkeit und Ge- 
wandtheit ausgeführt. Wir fanden viele Bekannte in ihrem Salon aus 
Athen und Neapel, so daß ihr ihre Aufgabe erleichtert wurde. Tags darauf 
ließ ich mich durch den bayrischen Gesandten bei dem Präsidenten vor- 
stellen. Die Masse geht in die großen Salons, vornehme Leute in die 
kleinen Appartements des Präsidenten. Hier hinein führte mich Wendland. 
Im ersten Salon fanden wir den Hofstaat und an der Tür des zweiten 
einen kleinen Mann mit dem Gesicht eines bayrischen Chevauleger- 
offiziers und dem großen Band der Ehrenlegion. Es war „le Prince"“. 
  
1) Henriette Sontag (1803 bis 1854) hatte als Gräfin Rossi von 1843 bis 1849 
in Berlin gelebt. 
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigleiten. I 5
	        
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