2 Im Reichstage (1870 bis 1874)
Aufzeichnung des Fürsten vom 24. März 1870.
(Vermutlich ein Entwurf eines Journalartikels.)
Die Besorgnis, welcher die bekannte Zirkulardepesche des Fürsten
Hohenlohe vom 9. April v. J. Ausdruck gab, hat sich als vollkommen
gerechtfertigt erwiesen. Was jenes Rundschreiben als bevorstehend be-
zeichnete, ist in allen Punkten eingetroffen. Die einundzwanzig Kanones
enthalten die Verdammungsurteile des päpstlichen Syllabus vom 6. Dezember
1864 und unterliegen der Beratung des Konzils, und die Annahme des
Dogmas der Unfehlbarkeit steht in naher Aussicht. Je größer die Be-
unruhigung ist, welche sich der Gemüter bei dieser Kriegserklärung der
Kirche gegenüber dem modernen Staate und angesichts der Folgen be-
mächtigt, welche sich daran knüpfen werden, um so mehr begegnet jener
Schritt der bayrischen Regierung der nachträglichen Billigung. Diese An-
erkennung findet auch in einem längeren Aufsatze der „Augsburger All-
gemeinen Zeitung“ Nr. 78 Ausdruck. Dabei wird aber der bayrischen
Regierung oder vielmehr dem damaligen Leiter der auswärtigen Politik
der Vorwurf gemacht, daß er die damals eingenommene Position sofort
aufgegeben und nicht dem ersten Schritt einen zweiten habe folgen lassen
durch Absendung eines Gesandten zum Konzil oder durch nachdrückliche
Protesterhebung gegen die Konzilsbeschlüsse. Allerdings nennt der Herr
Korrespondent den Fehler einen entschuldbaren, weil bei einem solchen
diplomatischen Schritte die Isoliertheit um so peinlicher sei, je kleiner der
betreffende Staat, und weil die unselige Spaltung des bayrischen Volks
verhängnisvoll auf jede Intervention hätte wirken müssen.
Ein „entschuldbarer“ Fehler bleibt aber immer ein Fehler, und es
wird deshalb gestattet sein, die Maßregeln näher zu beleuchten, aus deren
Unterlassung der bayrischen Regierung ein Vorwurf gemacht wird. Die
Vertretung der bayrischen Regierung im Konzil hätte vorausgesetzt, daß
der Gesandte angenommen werde und daß er nicht das einzige weltliche
Mitglied des Konzils sei. Nun ist die Frage der Beschickung des Vati-
kanischen Konzils durch Gesandte vielfach und von allen Regierungen in
Erwägung gezogen worden. Statt aber diese Erörterung gemeinsam, etwa
in einer europäischen Konferenz, wie dies im Vorschlage des Fürsten
Hohenlohe lag, vorzunehmen, haben es die europäischen Regierungen vor-
gezogen, die Frage gesondert und zwar negativ zu entscheiden. Als die
bayrische Regierung hiervon Kenntnis erhielt, blieb ihr nichts übrig, als
auf die Absendung eines Gesandten zum Konzil zu verzichten. Ein bay-
rischer Gesandter oder Orator als einziges weltliches Mitglied wäre nicht
angenommen worden oder hätte, wenn man ihn zugelassen, eine äußerst
traurige, wenn nicht lächerliche Rolle gespielt. Was den Protest gegen