Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

96 Im Reichstage (1870 bis 1874) 
bewerbe. Roggenbach meint, daß Bismarck Manteuffel von hier fernhalten 
und nach Paris vorschlagen wolle. Deshalb wird die Sache jetzt auch noch 
nicht so bald entschieden werden, da er noch nicht weiß, was dann mit 
Arnim geschehen soll. Münster wünscht dringend, nach London zu kommen. 
Vielleicht gelingt es ihm. 
Bei einem Diner bei Kameke sprach ich mit diesem von Fries. Es 
scheint, daß mehr dessen etwas zurückhaltende Art zu der Verstimmung in 
militärischen Kreisen Anlaß gegeben hat. Positives wußte auch Kameke 
nicht an ihm auszusetzen. 
Gestern war die Sitzung über den Laskerschen Antrag. 1) Ich wollte 
erst sprechen, unterließ es aber dann, nachdem Braun (Gera) meine Argu- 
mente alle vorgebracht hatte, da ich zu deren Wiederholung keine Lust hatte. 
Mittags war ich mit den andern Reichstagspräsidenten zum Diner 
beim Kaiser. Die Kaiserin, neben welcher ich saß, sprach von den Extremen, 
die zu vermeiden seien. Ich benutzte die Gelegenheit, ihr zu demonstrieren, 
daß die germanische Rasse sich gewöhnlich von Extremen fernhalte, und 
daß es eine Eigentümlichkeit der lateinischen Rasse sei, zu Extremen in 
Politik und Religion zu gelangen. Der Romane sei entweder bigott oder 
radikal. Der Deutsche halte die Mitte, ziehe nicht die äußersten Konsequenzen 
der Prinzipien, und zum Beweise führte ich ihr den Protestantismus an. 
Als die Kaiserin dagegen den Dreißigjährigen Krieg anführte, bemerkte ich 
ihr, daß das eigentliche Unheil des Dreißigjährigen Kriegs uns aus dem 
Auslande zugekommen sei. Das schien ihr doch auch unbestreitbar. Ein 
Veilchenbukett, das mir die Kaiserin dann gab, betrachtete ich als ein 
Zeichen, daß meine Diskussion die Allerhöchste Unzufriedenheit nicht 
erregt hatte. 
Abends war ich in der parlamentarischen Soiree, wo ich zuerst mit 
Stefani sprach, der sehr vernünftige Ansichten über die Schwierigkeiten 
entwickelte, in welche die liberale Partei durch ihre regierungsfreundliche 
Stellung komme, da die deutsche liberale Partei daran nicht gewöhnt sei. 
Wehrenpfennig, der sich dann zu mir setzte, erwähnte der Intrigen, die 
um den Kaiser getrieben werden, und daß man ihm jetzt die radikalsten 
Berliner Blätter zukommen lasse, um ihm zu beweisen, daß Zustände wie 
im Jahre 1848 zu besorgen seien. Zachariä erzählte mir und Hinschius 
von den Verhandlungen in der Kommission des Herrenhauses für die 
Kirchengesetze. Da geht nichts vorwärts. Man wird deshalb morgen im 
Herrenhause eine Interpellation in Szene setzen, wobei Bismarck die 
  
1) Den bereits wiederholt angenommenen Antrag auf Ausdehnung der Kom- 
petenz der Reichsgesetzgebung auf das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht 
und das gerichtliche Verfahren. Der Präsident Delbrück stellte diesmal die Annahme 
in Aussicht.
	        
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