Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

106 Im Reichstage (I870 bis 1874) 
Berlin, 19. November 1873. 
Heute früh bei Falk. In betreff des kirchlichen Konflikts ist er ent- 
schieden, vorwärts zu gehen, Ledochowski wird demnächst abgesetzt und 
vielleicht auch eingesteckt werden. Die Zivilehe hält Falk für unumgänglich 
nötig. Die Sache wird in diesen Tagen dem Kaiser vorgelegt. Da Falk 
entschieden ist, abzutreten, wenn der Kaiser nicht zustimmt, so wird sich 
der Kaiser wohl dafür entscheiden, wenngleich in seiner Umgebung alles 
aufgeboten wird, um ihn davon abzuhalten und dadurch den Konflikt für 
die Regierung schwieriger zu machen. Denn Falk sagt ganz richtig, daß 
man die Verwirrung, die jetzt durch die Renitenz der Geistlichen in Ehe- 
sachen hervorgerufen wird, in den Massen nicht den Bischöfen, sondern 
der Regierung in die Schuhe schiebt. Es ist also eine Lebensfrage für 
die Regierung, dem ein Ende zu machen. 
Karl von Koschentin, 1) mit dem ich von dem kirchlichen Konflikt sprach, 
meinte, daß die Säkularisation aller Kirchengüter, die Umwandlung der 
Bezüge der Pfarrer in Besoldungen und die Aufhebung des Patronats 
notwendig seien. Ich erwähnte diese Fragen Falk gegenüber, der sie als 
„später wohl nicht zu vermeiden“ bezeichnete. Mit Karl, Bennigsen, 
Lasker u. a. zu Mittag gegessen. Lasker trägt Grüße an Stauffenberg 
auf. Er soll sich wieder etwas von der Fortschrittspartei entfernen. 
Berlin, 18. Februar 1874. 
Nachdem mir Viktor vor einigen Tagen die Absicht Bismarcks mit- 
geteilt hatte, mich als Botschafter nach Paris zu schicken, und ich in der 
Zwischenzeit in Düsseldorf mit Marie darüber beraten hatte, wurde ich 
gestern Abend 9 Uhr zu Bismarck gerufen. Er empfing mich in seinem 
Kabinett, ließ Zigarren und Eau de Vichy geben und sprach zuerst von 
verschiedenen Dingen. Dann kam er auf die Botschaft. Er setzte zuerst 
auseinander, daß er Schwierigkeiten habe, Botschafter zu finden, daß die 
Grandseigneurs in Preußen sich nicht dazu eigneten und er vorziehe, 
einen Nichtpreußen zu nehmen. Dann sprach er von Petersburg, wo 
Reuß unentbehrlich sei, von London, wo sich Münster ganz vortrefflich 
mache, und von Wien, wo Schweinitz nicht wohl weggenommen werden 
könne, da er für Paris nicht passe. Für mich sei Wien zu unbedeutend. 
Außerdem sei es kein reiner Reichsposten. So wenig ein Krieg mit 
Oesterreich ein europäischer Konflikt sei, so wenig sei der diplomatische 
Posten ein europäischer. In Paris sei das anders. Krieg und Frieden 
mit Frankreich seien von europäischer Bedeutung. Zudem würde ich 
gegenüber dem König von Bayern in Wien in eine weniger günstige 
Stellung kommen, während ich in Paris Bayern mitverträte. 
  
1) Prinz Karl von Hohenlohe-Ingelfingen.
	        
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