Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Im Reichstage (1870 bis 1874) 111 
möchte. Auch der Verfasser des Gesetzes, Krüger, sagte, es wäre gut, 
wenn das Gesetz, sofern die Krankheit Bismarcks fortdaure, bis zum 
Herbst beruhen bliebe. Besonders die Württemberger, wie Varnbüler und 
Hermann,) wünschen, daß es nicht zur Sprache komme, weil sie fürchten, 
daß sie dann den Kirchenkonflikt auch nach Württemberg bekommen könnten, 
von dem sie bisher frei waren. Bismarck sagt, er könne das Gesetz nicht 
entbehren. Mit der bloßen Einkerkerung komme man nicht aus, die 
Internierung helfe auch nicht, und man müsse die Möglichkeit haben, die 
Bischöfe und Geistlichen, die sich auflehnen, aus dem Lande zu schaffen. 
Er beruft sich dabei auf die Schweiz, wo dies Mittel gute Dienste geleistet 
habe. Die Ultramontanen fürchten das Gesetz und bieten an, die Militär- 
organisation durchgehen zu lassen, wenn man jenes Gesetz nicht vorlege. 
Sie wollen dann zwölf Mitglieder hinausschicken und dadurch die Minorität 
gegen das Gesetz zustande bringen. In der Frage der Militärorganisation 
gehen die Meinungen noch weit auseinander. Die Fraktion der National- 
liberalen, das heißt diejenigen, welche in ihr den Ausschlag geben — 
darunter Lasker und die Süddeutschen —, wollen nicht mehr an Friedens- 
präsenzstärke bewilligen, als was nötig ist, um die in § 2 aufgeführten 
Cadres zu füllen und die jetzige Organisation zu erhalten. Dazu, meinen 
sie, genügten 360 000 Mann. Das Kriegsministerium findet das zu wenig, 
würde vielleicht auf 380000 Mann eingehen. Eulenburg sagte mir aber, er 
könne sich noch nicht vorstellen, wie man den Kaiser dazu bewegen wolle, auch 
nur einen Mann von den im Gesetze vorgesehenen 401 000 Mann aufzugeben. 
Bismarck geht es besser. Ob aber so gut, daß er noch vor Ostern 
die Militärorganisation beim Reichstag wird vertreten können, ist eine 
große Frage. Wenn er nicht kommen kann, wird man die Sache wohl 
bis nach Ostern vertagen. Die Meinung, nach Ostern, etwa bis zum 
20. April, weiterzutagen, findet leider mehr und mehr Anklang. Heute 
ein liebenswürdiger Brief von Apponyi?) aus Paris, der mich als neuen 
Kollegen begrüßt und sich mir zur Disposition stellt. Das erwähnte 
Kompromiß mit den Ultramontanen wird so wenig Anklang finden wie 
das früher angebotene. Die Regierung riskiert dabei, das Mißtrauen der 
liberalen Fraktionen zu erregen und sich dann zwischen zwei Stühle zu 
setzen, und das tut Bismarck nicht. Dazu ist er zu vorsichtig. 
Berlin, 19. März 1874. 
Morier, ?) den ich gestern besuchte, sprach mit einer gewissen Irritation 
von Bismarck. Er findet, daß meine Sendung nach Paris sehr gut sei 
  
1) Fürst zu Hohenlohe-Langenburg. 
2) Oesterreichischer Botschafter in Paris. 
3) Damals englischer Gesandter in München.
	        
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