Im Reichstage (1870 bis 1874) 113
Großherzog Friedrich von Baden an den Fürsten
Hohenlohe.
Karlsruhe, 3. April 1874.
Ihr freundliches Schreiben aus Schillingsfürst vom 31. März habe
ich gestern früh erhalten und spreche meinen verbindlichsten Dank da-
für aus.
Ich bedaure sehr, daß Sie durch meine an und für sich ganz un-
vermeidlich gewesene Handlungsweise sich unangenehm berührt fühlten, und
will daher versuchen, Ihnen zu beweisen, daß meine Vorschläge durchaus
unbefangen waren und sein mußten.
Die Verschlimmerung, welche in den letzten Tagen meiner Anwesen-
heit in Berlin in dem Gesundheitszustande des Reichskanzlers eintrat,
führte mich aus besonderen Gründen in die intimeren Kreise seines Hauses.
Der behandelnde Arzt wünschte Friedreich von Heidelberg beizuziehen und
wandte sich an mich mit der Bitte, die Berufung Friedreichs zu über-
nehmen, um das öffentliche Aufsehen zu vermeiden und zugleich die Familie
nicht zu erschrecken. Ich sagte zu, mich erkundigen zu wollen, wo
Friedreich sich befinde, da er eine Ferienreise nach Italien mit seiner
Frau und wegen ihrer angetreten hatte. Es mußte von dieser Be-
rufung Abstand genommen werden, respektive sie wurde für spätere Zeit
verschoben; aber inzwischen war ich in Details des Krankheitszustands
und dessen wahrscheinlich längere Dauer eingeweiht worden, die mir die
ganze Lage der Dinge als sehr kritisch erscheinen ließen. So entstand die
Frage einer eventuellen und temporären Stellvertretung des Reichskanzlers,
und ich begegnete dieser Frage sogar bei solchen, die über den wirklichen
Krankheitszustand des Reichskanzlers nicht so genau unterrichtet waren.
Ich entschloß mich, die Frage bei dem Fürsten Bismarck selbst an-
zuregen, und da er persönlich nicht zu sprechen war, besuchte ich die
Fürstin, seine Frau, und bemühte mich, sie für den Gedanken einer Stell-
vertretung von dem Gesichtspunkte aus zu interessieren, der ihr als Gattin
der werteste ist, d. h. im Interesse der Gesundheit ihres Mannes. Sie
ging auch freudig auf meinen Gedankengang ein, ohne daß ich es in der
ersten Unterredung unternahm, ihr einen Namen zu nennen; ja, sie sagte
mir sogar zu, den Fürsten dafür zu stimmen.
Inzwischen erfuhr ich von Herrn von Schulte, daß Windthorst-
Meppen ihm die Absicht ausgesprochen habe, bei Wiederzusammentritt des
Reichstags eine Adresse an den Kaiser zu beantragen, in welcher er ge-
beten werden soll, für eine verantwortliche Vertretung des Reichskanzlers
dem Reichstage gegenüber zu sorgen, insolange der Reichskanzler zu er-
scheinen verhindert ist. Diese Nachricht teilte ich an verschiedene gut
orientierte Personen mit und fand bei allen die Ansicht, welche ich selbst
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II