Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

126 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Casimir-Perier und viele andre Berühmtheiten waren da zu sehen. Thiers 
war nicht anwesend, auch Dufaure nicht. 
Erst eine anderthalbstündige Rede des jungen Herrn von Castellane, 
der mit unglaublicher Sicherheit sprach und unter vielfachem Widerspruch 
der Linken und Gelächter den Sutfrage universel bekämpfte. Dann trat 
Ledru-Rollin auf. Er verteidigte den Suffrage universel und bestritt der 
Versammlung das Recht, das allgemeine Wahlrecht abzuschaffen. Er 
konnte nicht mehr als jedesmal einen Satz aussprechen, worauf dann 
jedesmal eine minutenlange Unterbrechung folgte. Der alte Viel-Castel, 
dann Dahiret von der Rechten unterbrachen nicht durch einzelne Worte, 
sondern durch ganze lange Phrasen. Dazwischen allgemeines Geschrei, 
kurz eine wahre Komödie. Der Präsident, ein mir unbekannter Vize- 
präsident, kam nicht in Betracht. Ich habe seine Stimme nur gehört, 
als er Ledru-Rollin nannte, den niemand kannte. Ledru-Rollin sprach 
sehr ruhig und gut. Um 5 Uhr mußte ich weg, um noch zur rechten 
Zeit nach Hause zu kommen. Abends Diner bei Durand mit den Herren 
der Botschaft. Toast von Rudhart, 1) von mir beantwortet. 
Den 4. Morgens bei Peter. Dieser ist der Ansicht, daß die einzige 
Regierung, welche in Frankreich Aussicht auf Existenz habe, die bona- 
partistische sei. Der Franzose sei deémocrate und autoritaire. Das sei 
durch das Empire zu realisieren. 
Um ½6 Uhr fuhr ich nach dem Bahnhof Mont Parnasse, um zum 
Diner nach Versailles zu gehen. Baude und Desprez, der politische Direktor 
im Ministere des affaires étrangeres fuhren im Waggon mit mir. Das 
Diner war sehr zahlreich: ein großer Teil des diplomatischen Korps 
Lyons, Orlow, Washburne, Nigra. Letzterer ein Mann mit klugen, auf- 
merksamen Augen. Washburne ein amerikanisches Original. Nach Tisch 
bei der Zigarre im Arbeitszimmer des Marschalls mit verschiedenen Herren. 
Kern sprach viel und freundschaftlich mit mir, der echte Schweizer. Bei 
Tisch hatte ich neben dem Marschall gesessen, der mir von Königsberg2) 
erzählte. 
Paris, 9. Juni 1874. 
Gestern den ganzen Vormittag bis gegen 5 Uhr mit Berichten be- 
schäftigt, da Bülow 3) Abends abreiste, der dieselben mitnehmen sollte. Dann 
mit Peter „au Moulin“ zu Mittag gegessen (Restaurant in den Champs 
Elysées). Abends bei der Duchesse de Galliera. Dort traf ich den Prince 
de Joinville, den Herzog August von Kohary, der mich seiner Frau, der 
1) Bayrischer Gesandter. 
:) Wo Mac Mahon bei der Krönung König Wilhelms Frankreich ver- 
treten hatte. 
3) Militärbevollmächtigter an der Botschaft. 
 
	        
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