6 Im Reichstage (1870 bis 1874)
Bamberger sagte mir, wenn man alles zusammentrüge, was schon für die
deutsche Einheit gegessen worden sei, so könne man den Main damit
ausfüllen.
Am Morgen desselben Tages hatte ich bei der Vizepräsidentenwahl
meine Rede gehalten, die mit viel Beifall aufgenommen wurde. Simson
hatte mir zugeredet, mich nicht auf einfachen Dank zu beschränken.)
Roggenbach sagte mir neulich, man werde hier nach und nach dahin
kommen müssen, die norddeutschen Staaten mit Preußen zu verschmelzen,
sich gegenüber Süddeutschland auf ein mehr ausgebildetes Allianzverhältnis
zu beschränken und sich mit Oesterreich zu verständigen, indem man den
Allianzverträgen die Auslegung gäbe, daß sie Oesterreich gegenüber nur
Defensiobündnisse seien. Dagegen erwiderte ich, das sei ein Ideal, dem
ich zustimmen könne, dessen Durchführung aber daran scheitern werde, daß
Preußen mehr will, Oesterreich nicht traut und Bayern sich auf eine ehr-
liche Aufrechterhaltung der Verträge nicht einlassen wird. Er gab die
Bedenken zu, deutete aber auf einen Wechsel im preußischen Ministerium,
der Oesterreich mehr Garantien des guten Willens gebe. Er meint,
daß Oesterreich durch die gegenwärtige Krisis erstarken werde, und
dann müsse Preußen seine Politik ändern. Ich zweifle, daß man dazu
gelangen wird.
Die inneren Verhältnisse in Preußen und im Norddeutschen Bund
sind unbefriedigend. Doch scheint es mir, man würde sich täuschen, wenn
man daraus ableiten wollte, die ganze Organisation des Nordbunds könne
sich wieder auflösen. Ich glaube das doch nicht. Die Diplomaten rennen
seit einigen Tagen umher und stecken die Köpfe zusammen. Sie behaupten,
daß Bismarck mit dem Gedanken umgehe, den König zu veranlassen, den
deutschen Kaisertitel anzunehmen. Bayern und Württemberg bleibe dabei
ihre unabhängige Stellung gewahrt. Dagegen müßten diese Staaten wohl
die Oberherrlichkeit anerkennen! Roggenbach behauptet, diese Befürchtung
sei unbegründet. Ich kann bis jetzt nicht erfahren, was daran wahr ist.
1) In der Sitzung des Zollparlaments vom 25. April wurde Fürst Hohenlohe
zum ersten Vizepräsidenten mit 179 von 212 Stimmen wiedergewählt. Er nahm
die Wahl mit den Worten an: „Ich kann mit Recht stolz darauf sein, in der
ganzen Legislaturperiode das Wohlwollen einer Versammlung nicht verloren zu
haben, welche, wenn auch ihre Befugnisse beschränkt sind, eine hohe Bedeutung da-
durch hat, daß in ihr die Vertreter der deutschen Nation zur Beratung gemeinsamer
Angelegenheiten vereinigt sind. Wenn jüngst ein Mitglied des Hauses dem Zoll-
parlament beim Ausscheiden vorwarf, dasselbe beruhe auf Täuschung und schmücke
sich mit dem Nimbus eines deutschen Parlaments, so antworte ich: in dieser Tat-
sache gemeinsamer Arbeit deutscher Abgeordneter liegt keine Täuschung, sie ist ein
Gewinn, an dem wir festhalten sollen. Sie ist der feste Grund, worauf der Anker
der nationalen Hoffnung beruht.“