Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Im Reichstage (1870 bis 1874) 7 
Auch die Reise des Großherzogs von Darmstadt 1) wird mit diesem Ge- 
danken in Verbindung gebracht. Man behauptet, der Großherzog habe 
viele Schulden und hoffe auf diese Art herauszukommen. Ebenso meinen 
diese Politiker, der Kaiser von Rußland sei dem Kaiserprojekt günstig und 
hoffe dadurch den Thron seiner Schwester gegen die Demokraten zu 
schützen und habe den Großherzog zur Reise nach Berlin veranlaßt. Von 
Varnbüler vermutet man, daß er ebenfalls gewonnen sei (7). 
Berlin, 5. Mai 1870. 
Den 3. Mai war um 11 Uhr Sitzung über die Tarifvorlage. Wie 
vorausgesehen, wurde dieselbe vom Zollparlament in einer Weise modifiziert, 
die zunächst wenig Aussicht auf Zustandekommen ließ. Doch war überall 
unter den nationalgesinnten wie unter den konservativen Mitgliedern der 
Wunsch ersichtlich, das Zollparlament nicht unverrichteter Sache auseinander- 
gehen zu lassen. Schon während dieser Sitzung wurde also vielfach hin 
und her geredet, ob sich nicht eine Verhandlungsbasis finden lasse. Blanken- 
burg bat mich, mit der süddeutschen Fraktion zu verhandeln, Barth und 
Marquardsen verhandelten mit den Nationalliberalen, ich dann noch mit 
den Freikonservativen. Franckenstein teilte mir jedoch bald mit, daß seine 
Fraktion sich auf keine annehmbare Unterhandlung einlasse. Unterdessen 
gingen aber die Verhandlungen mit den übrigen Fraktionen um so besser, 
und als mir der König beim Diner sein Bedauern aussprach, konnte ich 
ihm schon Hoffnung machen, daß die Sache besser gehen werde. Bei dem 
Diner waren verschiedene Bundesratsmitglieder und einige Abgeordnete 
des Zollparlaments anwesend. Ich saß neben der Königin, uns gegen- 
über die Gräfin Arco, dann Schlör und andre. Ich bewunderte die Ge- 
wandtheit, mit welcher die Königin die von mir verlangten und gegebenen 
Notizen benützte, um mit den verschiedenen Herren aus Bayern zu sprechen. 
Nach Tische sprach ich mit dem rudolstädtischen Minister von Bertrab, 
der dort sehr angegriffen wird;2) er sagte, es werde ihm besonders zum 
Vorwurf gemacht, daß er katholisch sei. 
Gestern wieder Sitzung, aber erst um 1 Uhr, die jedoch bis 5 Uhr 
dauerte. Dann Diner bei Perglas und um 8 Uhr Fraktionssitzung, wo 
die schließliche Formulierung des Kompromisses festgestellt wurde. Abends 
war ich bei der Königin. Ich wurde vielfach ausgefragt über die könig- 
liche Familie in Bayern, über Bauten in München, das Münchner 
  
1) Der Großherzog von Hessen traf am 26. April zu mehrtägigem Besuche in 
Berlin ein. 
2 Der Landtag von Schwarzburg-Rudolstadt hatte am 1. März eine Adresse 
an den Fürsten mit einem Mißtrauensvotum gegen den Minister beschlossen.
	        
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