Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

146 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
schreibt mir, daß er darauf gefaßt ist, in nicht langer Zeit ein Ministerium 
Franckenstein in Bayern am Ruder zu sehen. Die Person des in Aus- 
sicht genommenen Ministers ist den bayrischen Ultramontanen durch Windt— 
horst bezeichnet worden, der natürlich hinter Franckenstein als Souffleur 
stehen würde. Die Partei entwickelt die größte Tätigkeit, um diesen Plan 
besonders durch Vorbereitung klerikaler Wahlen möglichst schnell zur Aus- 
führung zu bringen. Ob eine solche Eventualität auf die Dauer aus- 
geschlossen sein wird, bezweifle ich, und von dieser Annahme ausgehend, 
würde ich es für verhältnismäßig günstig ansehen, wenn der Zwischenfall 
sich abspielte, solange Frankreich seine volle Kraft noch nicht wiedererlangt 
hat und besonders, solange Eure Durchlaucht an der Spitze der Reichs- 
regierung stehen. Es ist dies einer der Gründe, welche mich zu der An- 
sicht führen, daß die leitende Tätigkeit Eurer Durchlaucht für den Fort- 
bestand des Deutschen Reichs eine absolute Notwendigkeit ist. 
Diese Notwendigkeit bleibt natürlich auch bestehen, wenn ich mir 
anderseits die Möglichkeit vergegenwärtige, daß Eure Durchlaucht etwa 
im Hinblick auf die ungewisse Dauer des europäischen Friedens selbst ein 
vorübergehendes ultramontanes Regiment in Bayern für bedenklich halten. 
Allerdings läßt sich nicht verkennen, daß eine reichsfeindliche Regierung 
sich angelegen sein lassen wird, die in und außerhalb von Bayern vor- 
handenen reichsfeindlichen Elemente aus dem losen in einen festen Zu- 
stand zu bringen, um sie in einem ernsten Augenblick als organisierte 
Kraft zur Unterstützung äußerer Reichsfeinde oder mindestens zur Läh- 
mung patriotischen Aufschwungs zu verwerten. Daß zuvor die Diplomatie 
der Mittelstaaten bestrebt sein würde, sich wieder zu einem politischen, 
internationalen Faktor zu erheben, liegt in der Natur der Sache. Allein 
diese nicht zu bestreitende Gefahr wird meines Erachtens aufgewogen durch 
die Erwägung, daß die reichsfreundlichen Elemente in dem eine Bevöl- 
kerung von anderthalb Millionen Protestanten zählenden Lande jetzt noch sehr 
stark sind, daß die Offiziere der bayrischen Armee fast ausnahmslos auf 
seiten des Reichs stehen und daß alle reichsfreundlichen Elemente, die von 
Tag zu Tag an Boden verlieren, durch die Tatsache eines klerikalen 
Ministeriums zu energischerer Tätigkeit angetrieben werden und aus der 
oppositionellen Stellung neue Kraft schöpfen würden. Denn die bekannte 
Rauflust meiner bayrischen Landsleute bringt es mit sich, daß derjenige 
die Sympathie gewinnt, der sich in der Opposition gegen die Regierung 
befindet, während die regierungsfreundliche Partei und ihre Führer der 
dem politischen Kampfe, wie einer Rauferei, zusehenden Masse in kurzer 
Zeit gleichgültig werden. Endlich kommt in Betracht, daß das gegen- 
wärtige Ministerium doch nur mühsam sein Leben fristet und, wie Eurer 
Durchlaucht genugsam bekannt ist, entscheidenden Fragen aus Furcht vor
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.