Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 147
den Ultramontanen aus dem Wege geht. Diese ängstliche Haltung mindert
das Ansehen der Regierung bei Freund und Feind und läßt den Nutzen,
den sie dem Reiche bringen könnte, sehr gering anschlagen. Wenn Eure
Durchlaucht überhaupt geneigt wären, der bayrischen Reaktion während
einer von Ihnen vorausgesehenen Friedensperiode Gelegenheit zu einer
Demonstratio ad absurdum zu gewähren, so dürfte es besser sein, den
Zeitpunkt selbst zu wählen, als die Katastrophe in eine Zeit fallen zu
lassen, in welcher dem Reiche ernste Nachteile daraus entstehen könnten.
Ob der gegenwärtige Zeitpunkt der geeignete ist, wage ich nicht zu ent-
scheiden. Ich hielt es aber für Pflicht, meine auf persönliche Erfahrung
gegründete Ansicht der Prüfung Eurer Durchlaucht vorzulegen.
Eben lese ich in den französischen Blättern, daß der Erzbischof von
München den König von Bayern in seinem Hirtenbriefe angegriffen hat. 1)
Ich werde mich erkundigen, ob dies wahr ist, und welchen Eindruck das
auf Seine Majestät gemacht hat.
Fürst Bismarck an den Fürsten Hohenlohe.
Berlin, 18. Februar 1875.
Eurer Durchlaucht kann ich auf den interessanten Brief vom 10. nur
wenige Worte mit heutiger Gelegenheit erwidern und behalte die eigent-
liche Antwort der nächsten Sendung vor.
Prinzipiell teile ich Ihre Ansicht, daß der frühere Aufbruch des Ge-
schwürs nützlicher, weniger gefährlich wäre als der spätere, nicht nur der
Ausländer, sondern auch der zwei Augen wegen, auf die es ankommt.
Gott erhalte sie! Aber sie sind eben isoliert, und der Fall wird tiefer und
ernster, wenn sie sich schlössen. In das Rad der Geschicke einzugreifen
würde ich aber nur wagen, wenn ich sicher wäre, daß der König mit
uns bewußterweise dasselbe Ziel erstrebte und die herbeizuführende
Episode als solche auffaßte. Haben Sie darüber eine Meinung? Ist
es möglich, ein Verständnis darüber herbeizuführen? Ohne solches ist die
Gefahr zu groß, daß das ganze bayrische Gefühl mit dem König an der
Spitze in Konflikt mit dem Reich gesetzt würde. Das Einschreiten des
Reichs würde notwendig erfolgen, sobald dessen Autorität in Frage gestellt
würde. Diese Frage zu stellen würde die Geschicklichkeit der Gegner in
1) In seinem Hirtenbriefe vom 4. Februar hatte der Erzbischof gesagt, daß
„das letzte Jubeljahr 1826 unter aktiver Teilnahme des Königs Ludwig I., als eines
gläubigen Sohnes der Kirche, in würdiger und erhebender Weise begangen werden
konnte, daß aber leider die gegenwärtige Jubelfeier nicht wie sonst sich entfalten
könne". Der König unterließ deshalb die Beteiligung an dem Schlusse des vierzig-
stündigen Gebets in der Michaelskirche.