Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 149
Uebrigens muß ich schon jetzt bemerken, daß mich die Frage, die
Eure Durchlaucht mir vorlegen und von deren Beantwortung Sie Ihre
Entschließung abhängig machen, mit Bedenken erfüllt. Ich kann nach
meiner Kenntnis der Individualität des Königs Ludwig nicht unbedingt
bejahen, daß der König bewußterweise dasselbe Ziel mit uns verfolgt.
Ich kann nur sagen, daß Seine Majestät klug genug ist, um die Gefahr
zu ermessen, die ihm die klerikale Politik in Bayern bereiten könnte. Ob
diese Klugheit soweit reicht, um ihn dauernd abzuhalten, die Konsequenzen
der mit Bildung eines katholischen Ministeriums eingetretenen Politik
zurückzudrängen, vermag ich jetzt nicht zu beurteilen. Die Führer der
ultramontanen Partei sind übrigens, wie ich zu wissen glaube, mehrfach
der Frage nähergetreten, ob nicht im gegebenen Augenblick der König
durch den Prinzen Luitpold oder Ludwig am Steuer des Staats zu er-
setzen sein würde. Möglicherweise hat man dabei an das Recht des
Papstes gedacht, welches ihm die Befugnis einräumt, Fürsten zu entsetzen.
Die Zurückhaltung, welche der König, trotzdem daß manche Teile des ultra-
montanen Programms ihm zusagen mögen, bisher dieser Partei gegenüber
beobachtet hat, könnte den Gedanken nahelegen, daß jene Pläne dem
König bekannt geworden sind. Anderseits würde sich freilich diese Zurück-
haltung auch durch das dem Könige angeborene allgemeine Mißtrauen
oder durch das Erkennen der objektiven Schwierigkeiten erklären. Immerhin
lassen sich die Entschließungen des Königs nicht voraussehen und deshalb
erkenne ich vollkommen die Schwere der Verantwortung, die ein Eingreifen
in die Entwicklung der bayrischen Krisis mit sich führt. Nur kann ich
mich noch nicht davon überzeugen, daß es einem ultramontanen Ministerium
gelingen könnte, mehr zu tun, als sich in mißtrauische Haltung gegen das
Reich einzupuppen. Zu einer reichsfeindlichen Aktion würde größere Ein-
heit in der Partei selbst gehören. Diese besteht aber nicht bloß aus Ultra-
montanen, sondern auch aus Partikularisten, d. h. solchen, deren reichsfeind-
liche Gesinnung sich auf die Forderung beschränkt, die dem bayrischen
Staate vorbehaltenen Rechte ungeschmälert zu bewahren. Dazu gehört
insbesondere die Bureaukratie, also die Organe, mit welchen das Mini-
sterium seine Politik durchführt. Diese wird durch die Vis inertiae auch
den kühnsten ultramontanen Minister bald brachlegen. Und mir scheint,
daß ein solches intrigierendes, Projekte machendes, aber zur Machtlosigkeit
verurteiltes Ministerium im eignen Lande bald den Boden und die Majorität
verlieren würde und daß nach dessen Sturze gesunde Zustände zu erwarten
wären.
Allein, wie gesagt, ich bin weit entfernt, diese Ansicht als die richtige
hinzustellen und werde mein Urteil erst nach mündlicher Rücksprache mit
Eurer Durchlaucht definitiv bilden.