150 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Journal.
Paris, 18. Februar 1875.
Die Verständigung in der Nationalversammlung über den Senat und
infolgedessen über die konstitutionellen Gesetze scheint nahe bevorzustehen.!)
Damit verliert das Kaiserreich an Aussicht. Die Furcht vor den Bona-
partisten hat die Einigung gefördert.
Thiers, den ich heute Abend besuchte, glaubt auch an das Zustande-
kommen und meint, daß dies die Auflösung der Versammlung nur näher-
bringen wird. Diese sei nötig, und wenn die Linke und das linke Zentrum
bei der Verständigung mitwirke, so geschehe es nur, um desto eher zur
Auflösung der Versammlung zu kommen. Ich fragte Thiers, ob er nicht
glaube, daß damit die Chancen des Duc d'Aumale zunähmen, und sprach
die Meinung aus, daß man den Marschall Mac Mahon veranlassen werde,
seine Entlassung zu geben, damit der Platz für Aumale frei werde. Daß
Mac Mahon abgehen werde, hält Thiers auch nicht für unmöglich, doch
bestritt er ganz bestimmt, daß der Duc d'Aumale Aussicht habe, gewählt
zu werden. „II n’aura pas 200 voix dans la Chambre.“ „Aber der
Senat?" fiel ich ein. Auch dieser werde Aumale nicht wählen, meinte
Thiers. Er hält nur das Kaiserreich oder die Republik für möglich. Das
erstere werde aber nur dann kommen, wenn die Republik sich als lebens-
unfähig erwiesen habe. Diese aber kräftige sich jetzt mehr und mehr, und
das Land sei in seiner Mehrheit republikanisch. Daß die Orleans Aus-
sicht hätten, zur Regierung zu kommen, davon sei keine Rede. Mir schien,
daß er sich allein für möglich hält, wenn der Marschall abgehen sollte.
Darin kann er sich täuschen.
Bei Thiers waren einige ältere Herren. Darunter Emanuel Arago,
mit dem ich ins Gespräch kam. Madame Thiers schlief fest, Mademeiselle
Dosne von Zeit zu Zeit. Thiers saß am Kamin und erzählte der Fürstin
Trubetzkoy und Arago seine Erlebnisse während der Februarrevolution
von 1848, seine Unterredungen mit Louis Philipp, dessen Flucht und wie
man ihn, Thiers, auf der Place de la Concorde gedrosselt und am Boden
herumgeschleift habe. „Mais le peuple n’’est pas méchant. IIs m’'ont
un peu secoué, mais je n’en ai pas eu grand mal.“
Um 11 Uhr ging ich weg. Am Schlusse sagte er mir: „Faites mes
Compliments au Prince de Bismarck!“
1) Durch die Einigung der verschiedenen Gruppen der Linken und die Ver-
ständigung des linken mit dem rechten Zentrum über die Zusammensetzung des
Senats, welche zur Annahme des Senatsgesetzes am 24. Februar führte. Am 25.
nahm der Marschall die Demission des Kabinetts Cissey an und beauftragte Buffet,
den Präsidenten der Nationalversammlung, mit der Bildung eines Ministeriums.
