170 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Mit Gontaut sei er nun in einiger Verlegenheit. Wenn dieser jetzt
unter dem Eindruck jener Zeitungsgerüchte abgerufen wurde, so rufe das
einen ganz andern bitteren Eindruck hervor, als wenn er in ganz natür-
licher Weise auf einen andern Posten gekommen wäre. Decazes hat Gon-
taut beauftragt zu sehen, ob er nicht eine Unterredung mit dem Reichs-
kanzler im Laufe dieses Sommers erlangen könne, um selbst zu erfahren,
wie es mit ihm stehe. Denn Decazes meint immer noch, es sei nicht der
Reichskanzler, sondern Radowitz, der Gontaut weghaben wolle.
Paris, 10. August 1875.
Blowitz, der sich in seiner Jugend in den südslawischen Ländern her-
umgetrieben hat, legt der Bewegung in der Herzegowinat:) keine große
Bedeutung bei. Solange sich Montenegro ruhig verhalte, sei anzunehmen,
daß Rußland den Ausbruch nicht veranlaßt habe und eine allgemeine Er-
hebung nicht wünsche. Dies sei auch natürlich. Rußland wisse, daß ihm
Konstantinopel und die ganze Erbschaft der Türkei zufallen müsse wie eine
reife Birne. Das sei nur eine Frage der Zeit. Es beeile sich nicht da-
mit. England habe sich in den Gedanken gefunden und werde, wenn es
einmal zum Zerfall der Türkei komme, wahrscheinlich Aegypten für sich
nehmen. An die Bildung einer südslawischen republikanischen Föderation
glaubt Blowitz nicht. Das könnten Rußland und Oesterreich nicht dulden.
Das wäre auch seiner Ansicht nach unmöglich. Jene Volksstämme seien
zu roh, um eine Republik zu gründen. Alle diese Völker gravitierten nach
Rußland und würden ihm auch einst zufallen. Wenn dies geschehe,
so würde sich Rußland in zwei Teile teilen. Das mongolische werde
gegen Asien hin gebildet werden, das slawische mit der Hauptstadt
Konstantinopel. Dann werde Oesterreich zu existieren aufhören; denn
wenn seine slawischen Länder zu Rußland fielen, würden die deutschen von
selbst an Deutschland fallen. Diese Eventualität sieht Blowitz voraus,
aber wir würden, meint er, es nicht erleben.
Paris, 16. August 1875.
Herr Thiers war heute bei mir, um mir seinen Abschiedsbesuch zu
machen, da er in die Schweiz reist. Wir sprachen zuerst von der Herzego-
wina, dann kam er auf alte Erinnerungen, auf sein Ministerium im
Jahre 1840 und die damaligen Kriegsgerüchte. Er beschuldigte Louis
Philipp, zu früh den Mut verloren zu haben.
Dann auf die Herzegowina zurückkommend, sagte er, es werde wohl
ein neuer gächis daraus werden. Wir hätten dann einen gächis mehr
1) Die im Juli ausgebrochen war.