Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 173 
Dann war ich im Reichstag. Forckenbeck sagte mir, man wolle suchen, 
bis Weihnachten fertig zu werden, alle größeren politischen Diskussionen 
vermeiden und dahin trachten, den Reichstag nur zu einem geschäftlichen 
zu machen. Ob ihm dies gelingen wird, steht dahin, besonders wenn 
Bismarck darauf besteht, die Strafgesetznovelle ) beraten zu sehen. Uebrigens 
ist die Stimmung so, daß, wenn Bismarck sich auf die Hinterbeine stellt, 
er doch nicht durchdringen wird. Gneist meinte aber, daß die schwüle 
Stimmung, von der man spricht, wieder verziehen werde. Windthorst 
paßt darauf, sich die Situation zunutze zu machen, mit Bismarck sich zu 
verständigen und ihm das Zentrum als konservative Partei zuzuführen. 
Ein jedenfalls gefährliches Experiment. 
Mittags bei Bülow. Dieser sagte mir, daß die Russen hinter der 
türkischen Zinsreduktion stecken. Er sieht die Frage der Herzegowina so 
an, daß daraus der Zerfall der Türkei folgen werde. Der Aufstand 
werde den Winter überdauern, und dann würden im Frühjahr Serbien 
und Montenegro mittun und die Türkei den kürzeren ziehen. Bezüglich 
der Annexion Bosniens durch Oesterreich habe Andrässy an das bekannte 
Wort des Fürsten Ligne erinnert, dem jemand gesagt habe, daß seine 
Frau ihm untreu sei, worauf er erwidert habe: „Comment? quand on 
n'y est pas obligé?“ 
Abends parlamentarische Soiree im Kaiserhof: Schulte, Benda, 
Schmidt-Stettin, Bernuth und Bamberger. 
4. November. 
Gestern Nachmittag beim Kaiser. Erzählung von Mailand. Dann 
über Rußland und Polen, endlich über Wesdehlen,?) den der Kaiser sehr 
lobt. Von Reuß sagt der Kaiser, es sei schade, daß er die Karriere ver— 
lasse. Daß er wiedereintreten werde, sagte er nicht. Ich hütete mich 
daher auch, darauf einzugehen. 
An den Reichskanzler. 
Paris, 16. November 1875. 
Eure Durchlaucht wollen mir erlauben, Ihnen meinen aufrichtigen 
Dank auszusprechen, daß Sie bei der Erörterung der Frage der Wieder- 
besetzung des Petersburger Botschafterpostens, wie ich durch Graf Herbert 
erfahren habe, mein Interesse in so gütiger Weise wahrgenommen und 
mich bei dem bevorstehenden Revirement außer Berechnung gelassen haben. 
  
1) Deren politische Bestimmungen wegen ihrer Unbestimmtheit und Dehnbar- 
keit in liberalen Kreisen lebhaften Widerspruch erregten. 
2) Botschaftsrat Graf Wesdehlen.
	        
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