Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

186 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Vor sechs Monaten, meinte Thiers, hätte dies nützen können, jetzt sei es 
zu spät. 
Auf die innere Politik Frankreichs übergehend, hob Thiers hervor, 
daß die Gemeinsamkeit der Interessen in der Bekämpfung des Ultra- 
montanismus eine Garantie für die Fortdauer guter Beziehungen zwischen 
Deutschland und Frankreich sei. Der Marschall habe zwar Lust, sich auf 
die klerikale Seite zu stellen, es werde ihm aber nicht möglich sein, das 
auf die Dauer durchzuführen. 
Dann von Gontaut. Thiers hat deshalb mit Dufaure gesprochen, 
der seine Ansicht gegen Gontaut zu würdigen anfange. 
Paris, April 1876. 
Die Nachricht, daß Beust Aussicht habe, hierher zu kommen, gibt mir 
zu denken. Es kommt dabei noch in Betracht, daß die Beziehungen zwischen 
Rußland und Oesterreich gespannt zu werden drohen. Während Oester- 
reich im Orient mit allen Kräften zu pazifizieren sucht, helfen die Russen 
nur mit halber Dampfkraft. Es scheint, daß sich Oesterreich unter diesen 
Umständen nach Alliierten umsieht. Es wäre wenigstens nicht zu ver- 
wundern, wenn es das täte. Da bietet sich nun England. In öster- 
reichischen Kreisen meint man, daß der gegenwärtige Orientkonflikt vielleicht 
die letzte günstige Gelegenheit für England bieten werde, seinem fort- 
laufenden Antagonismus gegen Rußland einen tatkräftigen Ausdruck zu 
geben. Wenn Beust, der als der natürliche Apostel dieser Theorie erscheint, 
nun auch das hiesige Terrain vorzubereiten Gelegenheit fände, so würde 
für Deutschland mehr als bisher die Persönlichkeit des Grafen Andrässy 
und die Fortdauer seiner Tätigkeit ins Gewicht fallen. 
Paris, 7. Mai 1876. 
Die inneren Fragen scheinen Herrn Thiers, den ich gestern gesehen 
habe, keine Sorge zu machen. Er meint, daß die Amnestie 1) unbedingt 
verworfen werde und daß sich auch die Frage der Mairewahlen?) be- 
friedigend lösen werde. In letzterer Beziehung ließ er sich aber nicht auf 
Näheres ein, da ihm diese Frage unangenehm ist. Was zu bedauern ist, 
meint Thiers, wäre nur der Mangel an Leitung. Eine Kammer müsse 
geführt werden, sonst steuere sie im Unbestimmten herum. Als ich ihn 
fragte, ob denn niemand in der Kammer die Leitung übernehmen werde, 
  
1) Radikale Senatoren und Deputierte hatten die vollständige Amnestie für 
die Ereignisse der Kommune beantragt. Die Regierung wies diese allgemeine 
Amnestie entschieden zurück (29. März). 
2) Am 2. April beschlossen die Fraktionen der Linken und des linken Zentrums 
die Regierung zu ersuchen, daß den Gemeinderäten das Recht der Wahl der Maires 
zurückgegeben werde.
	        
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