Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 187 
meinte er, das ginge nicht. Die Leitung müsse die Regierung übernehmen. 
Dufaure habe dafür keinen Sinn, er vertiefe sich in seine Akten, lese alle 
Berichte der Generalprokuratoren und kümmere sich zu wenig um die 
parlamentarischen Dinge. Decazes stehe zu weit rechts, auch sei seine 
Stellung zu sehr erschüttert, sowohl wegen der Nichtbesetzung der diplo- 
matischen Posten als durch seine Beziehungen zu Soubeyran in den 
ägyptischen Finanzfragen. Gambetta werde die Führung nicht bekommen. 
Die Kammer sehe ihn mit Mißtrauen an. Dieser Mangel an Leitung 
werde nicht zu Gefahren führen. „II y aura seulement du gächis dans 
la chambre.“ 
Was die auswärtige Politik betrifft, so glaubt Thiers zu wissen, daß 
die Konferenz der Kanzler in Berlin!) zum Beschlusse führen werde, daß 
Oesterreich in Bosnien einrücke. Das sei, sagt Thiers, auch das ver- 
nünftigste, was man tun könne. Nur so könne der Friede hergestellt 
werden. 
Thiers ging dann davon ab und kam wie gewöhnlich auf den Fürsten 
Bismarck zu sprechen. Er sagte: „Le prince est plus libre dans sa 
politique.“ Als ich auf diese unbestimmte Rede nicht reagierte, fuhr er 
fort: Bisher hätten Frankreich und Deutschland jenen Windhunden ähnlich 
gesehen, die man aneinander kettet und die dann immer nach den entgegen- 
gesetzten Richtungen ziehen. Jetzt sei dies anders. Man komme nach und 
nach auf denselben Weg und könne sich verständigen. Ich erwiderte, das 
sei richtig, nachdem Frankreich und so lange es denselben Gegner bekämpfe. 
Herr Thiers scheint aber im Hintergrunde doch noch seinen alten Lieblings- 
gedanken zu verfolgen, eine Annäherung an Deutschland zu bewerkstelligen 
oder wenigstens so zu tun, als wolle er diese. Dabei kommt mir aber 
die Erinnerung an das, was Orlow sagte, „que Thiers aime à jouer à 
la bascule“, mit jedem tour à tour freundschaftliche Beziehungen zu 
pflegen. 
Paris, 14. Mai 1876. 
Das Diner, welches ich zu Ehren Delbrücks 2) geben wollte, wäre 
fast zu einem Rumpfdiner geworden. Ich hatte von den Ministern 
Decazes, Léon Say, Waddington 2) und Teisserenc de Borti) geladen. 
  
1) Bei der Durchreise des russischen Kaisers durch Berlin trafen Gortschakow, 
Andrässy und Bismarck dort zusammen, am 13. Mai. Sie einigten sich über ein 
Memorandun, dem auch England, Frankreich und Italien beizutreten eingeladen 
wurden. 
*:) Der am 25. April seine Entlassung aus dem Amte des Präsidenten des 
Reichskanzleramts erbeten und zum 1. Juni erhalten hatte. 
3) Der neue Kultusminister. 
4) Der neue Handelsminister.
	        
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