Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 193
regierten. Man solle nur einmal die Republik wirklich werden lassen und
alle Freiheiten geben, die zur Republik gehören, dann würden die Fran-
zosen die Sache bald satt bekommen. Faverney stimmte dem bei.
Die Fürstin erzählte von einer Soiree bei der Königin Isabella, wo“
die Königin mit ihrem Sekretär eine Romanze en duo gesungen hatte.
Ich fragte, was für eine Stimme die Königin habe, worauf die Fürstin
erwiderte: „De temps en temps on entendait un son.“ Das Duo war
sehr zärtlich, und es kamen Stellen vor wie „io vivo — io amo“ und
ähnliches. Die Fürstin sagte der Königin, wie hübsch die Romanze sei,
worauf die Königin sagte: „Et comme c'est vrai! Je le sentez-vous
pas aussi?“ Der Sekretär hat den Grand Cordon des Gregorius--
ordens bekommen, den ihm der Nunzius selbst überbracht hat, „pour
récompenser les Guvres pies auxquelles il se livre“, wie Decazes sagte.
Die dicke Frau des Sekretärs hat den Theresienorden bekommen. Die
Fürstin behauptet, daß dies auch seine eignen Gründe habe.
Auffallend ist, daß Thiers der Fürstin Trubetzkoy allerlei Schreck-
bilder vorgemacht hat, die der jetzige Zustand der europäischen Politik
bringen könne. Er behauptet, Rußland werde isoliert und von England
und Deutschland bekriegt werden. Wahrscheinlich tut er dies, um die
Russen für Frankreich zu gewinnen und Frankreich als den Retter hinzu-
stellen, der Rußland helfen werde.
Paris, 23. Juni 1876.
Die gestrige Sitzung der Akademie war merkwürdig. Jules Simon,
der an die Stelle von Rémusat getreten ist, hielt seine Lobrede auf seinen
Vorgänger. Form und Inhalt der Rede wie der Vortrag waren meister-
haft. Die Stellen, in welchen er bei Besprechung der letzten Leben sjahre
Remusats auf Thiers zu sprechen kam, wurden mit lebhaftem Beifalls-
klatschen begrüßt. Störend war, daß der kleine Thiers in gestickter
Akademieuniform danebensaß. Die Stelle, wo er von Manteuffel sprach,
wurde als eine taktvolle Bemerkung betrachtet, der Admiral Pothuau
machte mich nachher ganz besonders darauf aufmerksam. Es ist wahr-
scheinlich, daß Thiers diesen Passus inspiriert hatte. Ich saß zwischen
Orlow und Mademeoiselle Dosne. Buffet begrüßte ich vor dem Beginn
der Sitzung. Fürstin Trubetzkoy war nicht da. Vom diplomatischen Korps
außer Orlow und mir niemand.
Abends um 6 Uhr Besuch bei der Duchesse Decazes. Sie sprach sich
beunruhigt über die Lage aus. Der Marschall, meinte sie, werde sich
nicht bis 1880 halten. Man werde trachten, ihren Mann und Cissey
und auch Dufaure zu entfernen und dann, wenn der Marschall ganz in
den Händen der Freunde des Herrn Thiers sei, ihn leicht beseitigen.
Fürst Hohenlohe, Denkwürdigkeiten. II 13