Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

202 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Varzin, 29. September 1876. 
Bismarck sprach gestern Abend wieder von seiner Absicht, das Amt 
aufzugeben. Er könne nicht immer die Verantwortung für alles tragen, 
was geschieht, und doch ohne Mittel sein, sich seine Kollegen selbst zu 
wählen. Diese arbeiteten ihm entgegen. Namentlich beklagte er sich über 
Camphausen, der seine, des Fürsten, Reformpläne im Steuerwesen un- 
berücksichtigt lasse. Eulenburg sei zu schwach, lasse alle alten Oberpräsi- 
denten und habe radikale und reaktionäre Räte zugleich im Ministerium. 
Das könne nicht so fortgehen. Er hätte deshalb schon längst seinen Ab- 
schied verlangt, aber er sehe voraus, daß dann die auswärtigen Angelegen- 
heiten schlecht gehen würden, da niemand dem Kaiser gegenüber die Macht 
habe, die er sich erworben habe. Er habe deshalb daran gedacht, sich 
eine Stellung zu bilden, in der er auf die auswärtigen Angelegenheiten 
Einfluß üben könne, ohne die Last und Verantwortung des Reichskanzlers 
zu haben. Wenn der Kaiser ihn zum Generaladjutanten mache, so sei 
das der einzige Weg. Ich entgegnete, daß er sich vielleicht täusche. Wenn 
der Kaiser in ihm nicht mehr den Reichskanzler mit seiner ganzen Macht 
sehe, so werde er sich seinem Einfluß entziehen, und andre würden leichtes 
Spiel gegen ihn haben. Dagegen meinte Bismarck, er werde sich auch 
zum Abgeordneten wählen lassen, das werde ihm das nötige Ansehen und 
die nötige Macht geben. Und wenn nicht, so bliebe ihm immer der voll- 
ständige Rücktritt von den Geschäften. Dagegen erhob ich Einsprache. 
Denn dem können wir uns nicht aussetzen. Es scheint, daß ihm besonders 
Camphausen auf den Nerven liegt. 
Um 12 Uhr Mittags kam ein Telegramm von Berlin, demzufolge 
die englische Regierung Nachricht hat, daß die Türken keine Vorschläge 
und keine Vernunft annehmen wollen. Demnach wird wohl der Einmarsch 
der Russen in Bulgarien und der Oesterreicher in Bosnien stattfinden. 
Nachmittags kam Bismarck zu mir und sprach über unser Verhältnis 
zu Oesterreich und Rußland. Wenn Rußland mit England in Konflikt 
gerate, so sei das für uns kein Nachteil. Sie könnten sich gegenseitig 
wenig Schaden zufügen, und wir könnten den Kampf ruhig mit ansehen. 
Viel übler sei es, wenn Rußland und Oesterreich aneinander gerieten. 
Hielten wir uns neutral, so würden die Geschlagenen es uns nie verzeihen. 
Wenn Oesterreich ganz vernichtet werde, so sei das für uns kein Vorteil, 
da wir zwar die Deutschen annektieren könnten, aber nicht wissen würden, 
was wir mit den Slawen und Ungarn machen sollten. Gegen Oesterreich in 
den Krieg zu ziehen mit Rußland, erlaube die öffentliche Meinung in 
Deutschland nicht. Rußland ist für uns gefährlich, wenn Oesterreich zu- 
grunde geht. Mit Oesterreich können wir Rußland in Schach halten, 
Bismarck hofft, daß Andrässy, wenn ihm kein andrer Weg übrigbleibt,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.