14 Im Reichstage (1870 bis 1874)
Treuchtlingen soll deshalb ein Pfarrer zuerst von einem Unteroffizier ge-
ohrfeigt und dann arretiert worden sein. Seitdem es bekannt geworden,
daß solche Aufhetzung kriegsrechtlich behandelt und mit dem Tode bestraft
werden soll, ist einige Vorsicht in die Herren gekommen. Mit Berchem
sprach ich heute über seine politische Haltung im Hauptquartier. Ich riet
ihm, sich ganz auf dem blauweißen Standpunkt zu halten, seine fortschritt-
lichen Sympathien zu unterdrücken, schon wegen der Stellung zum Prinzen
Luitpold und dann auch im Interesse Bayerns. Wir müssen den Stand-
punkt festhalten, daß der Status quo auch nach dem Krieg aufrechterhalten
bleibe. Will man uns im Norddeutschen Bund, so wird man uns das
schon sagen, dann ist es Zeit, unfre Bedingungen zu machen. Die Frage
hängt vom Ausgang des Kriegs und von dem Erfolg der bayrischen
Waffen ab. Blamieren sich die Bayern, so wird die Stimmung im Lande
ganz fortschrittlich. Halten sie sich gut, so gewinnt das Nationalbewußtsein
der Bayern größeren Halt und Nachdruck, und die öffentliche Meinung
dringt auf Erhaltung der Selbständigkeit.
Aussee, 30. Juli 1870.
Am Mittwoch früh 11 Uhr ging ich zum Herzog von Schleswig-
Holstein, um mich mit ihm in die Straßen zu begeben, durch welche der
Kronprinz kommen sollte. Die Schützenstraße, der Platz vor der Eisen-
bahn und die umliegenden Plätze waren voll Menschen. Kaum hatten
wir uns vor dem Sterngarten aufgestellt, so erschien auch im Tor des
Bahnhofs die Kürassiereskorte, und ihr folgte der Wagen, in welchem der
König mit dem Kronprinzen von Preußen und Prinz Otto saßen. Das
Publikum grüßte freundlich und schrie Hurra, aber nicht besonders stark.
Die untere Klasse, Arbeiter u. s. w. waren vorzugsweise vertreten, und
diese sind in München weder für den Krieg besonders begeistert, noch
geneigt, einem preußischen Prinzen ein Hoch auszubringen. Mittags
empfing der Kronprinz die Generäle, den Magistrat u. s. w., und um
5 Uhr war Familientafel. Ich war nach derselben zum Kronprinzen be-
schieden und fuhr deshalb um 6 Uhr in die Residenz. Dort fand ich
Graf Usedom, mit welchem ich mich etwa eine Stunde unterhielt, bis der
Kronprinz, geleitet von dem König und Prinz Otto, erschien. Letztere
verließen ihn an der Tür, und der Kronprinz nahm mich mit in sein
Schreibzimmer. Er begann gleich mit den Worten: „Nun, Sie haben
es ja richtig vorausgesagt.“ Ich wußte nicht, worauf sich das bezog,
worauf der Kronprinz (den ich in Berlin nicht gesehen hatte) mir erzählte,
die Kronprinzessin habe ihm gesagt, ich hätte bei meiner Unterredung mit
ihr Anfang Mai meinen Befürchtungen über kriegerische Absichten der
Franzosen Ausdruck gegeben. Er sprach dann vom Krieg, „der ein Kampf
bis aufs Messer“ werden würde, verhehlte nicht die Gefahren, fügte aber