212 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Die Soiree war sehr brillant. Die Zimmer und Galerien im Schloß sind
doch in ihrer Rokokoart sehr schön. Um 1½ Uhr fuhren wir todmüde nach Hause.
Heute Morgen Unterredung mit Bennigsen und Dernburg. Beide
beklagen die gegenwärtigen Zustände. Bismarck mutet sich zuviel zu. Er
hat niemand, der ihn unterstützt. So geht alles aus dem Leim. Ich
sprach mit Dernburg, als dieser einen Brief aus dem Ministerium bekam,
der ihn aufforderte, heute Abend zu Bismarck zu kommen. Ich riet ihm,
die Gelegenheit zu benutzen, offen mit dem Reichskanzler zu sprechen und
ihm Jolly zu empfehlen. Mit Hofmann wird es nicht mehr lange gehen.
Heute Abend wieder Hofsoiree.
Berlin, 25. März 1877.
Gestern früh fand ich im Reichstag Dernburg, der den Abend vorher
bei Bismarck gewesen war. Er befand sich noch unter dem Eindruck der
Unterredung und war etwas bestürzt über die Vorwürfe, die der Kanzler
der nationalliberalen Partei gemacht hatte. Auch fürchtete er, daß Bis-
marck in die Sitzung kommen und seinen Rücktritt erklären würde. Doch
verging die Sitzung, ohne daß der Kanzler kam, und ich atmete auf, als
Forckenbeck die Sitzung schloß. Nachmittags bemerkte ich die Fürstin
Bismarck und gab ihr das von ihr verlangte Gedicht. Holstein erzählte,
daß der Beifall des Kaisers mir viele Neider zugezogen habe.
Heute Morgen beim Kronprinzen, den ich ruhig und vernünftig fand,
wie immer. Wir sprachen über die Ausstellung und über Frankreich.
Dann zu Bismarck. Er ist ganz aufrichtig in seiner Friedensliebe, aber
er traut den Franzosen nicht. Seit dem sechzehnten Jahrhundert gebe
es in Deutschland keine Familie, aus der nicht in jeder Generation einer
gegen Frankreich gefochten habe. Ein solcher Nachbar sei eine immer-
währende Bedrohung. Ueber die Kaiserin äußerte er sich sehr bitter. Er
behauptet, daß Nesselrode mit der „Reichsglocke“ in Verbindung gestanden
habe, er sprach gegen Schleinitz und dessen Einfluß. Erzählte viel von
der Tätigkeit der Kaiserin und wurde um so mitteilender, je mehr ich
anfangs bestritten hatte, daß die Intrigen der Kaiserin ernst zu nehmen
seien. Diese und die linke Seite der Nationalliberalen mache ihm das
Leben sauer. Er will deshalb auf ein Jahr Urlaub nehmen. Ich fragte,
wer ihn dann ersetzen solle, und da meinte er, das würden Camphausen
und Bülow tun.
Paris, 3. April 1877.
Die angebliche Demission des Fürsten Bismarck 1) war gestern Abend
Gegenstand des Gesprächs beim spanischen Botschafter. Auf der Börse
1) Am 1. April hatte Fürst Bismarck sein Entlassungsgesuch eingereicht. Am
10. April wurde die Entlassung verweigert und dem Fürsten ein Urlaub auf un-
bestimmte Zeit erteilt.