Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

218 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
mit der Aufmerksamkeit eines Sohns zu und zeigte das größte Interesse. 
Ich benutzte eine Pause, um ihn nach den Wahlaussichten zu fragen. Er 
behauptete, seit 1789 werde keine solche Wahl mehr gewesen sein. Frank- 
reich sei entschlossen, die Gegner der Republik zu schlagen und werde es 
tun. Die früheren Wahlen hätten die Legitimisten und dann die Orleanisten 
ekrasiert, diese würden die Bonapartisten vernichten. Auf meine Frage, 
was ihn zu dieser Hoffnung berechtige, sagte er, daß die Bonapartisten 
sich durch ihre Allianz mit den Klerikalen unmöglich gemacht hätten. Er 
rechnet darauf, daß von 80 Bonapartisten nur 40 gewählt werden. Von 
den Klerikalen sagt er, daß sie in Frankreich keinen Boden hätten, wenn 
auch die höhere Bourgeoisie an ihrem Ueberhandnehmen schuld sei. Er 
meint, daß man die Kongregationen vertilgen müsse. Also Austreiben der 
Jesuiten. Gambetta macht einen guten Eindruck. Er ist höflich und 
liebenswürdig und dabei sieht man in ihm den selbstbewußten, energischen 
Staatsmann. 
Paris, 16. Juli 1877. 
Herr Thiers besuchte mich heute Nachmittag. Er hatte keinen besonderen 
Zweck als den, meinen Besuch von neulich zu erwidern. Er kam zuerst 
auf die Erziehung der Jugend unter Napoleon I. zu sprechen, erzählte 
mir ausführlich den Unterricht, den er in Marseille in dem von dem Kaiser 
errichteten Lycée erhalten habe, wo er die Neigung für militärische Dinge 
erworben hat. Daß er damals die Uniform der Garde Imperiale mit 
hohen Gamaschen getragen hat, schien ihn noch zu freuen. Er sprach dann 
von der Dienstzeit, von der Notwendigkeit einer Dienstzeit von fünf 
Jahren u. s. w. Nachher kam er auf die französischen Zustände, wieder- 
holte, daß es ganz unmöglich gewesen sei, die Monarchie in Frankreich 
herzustellen, und daß ihn kein Vorwurf treffe, denn in Bordeaux habe es 
sich nur darum gehandelt, die Regierung überhaupt zu bilden und nicht 
Anlaß zur Uneinigkeit zu geben. Er selbst sei ein treuer Diener Louis 
Philipps und der Monarchie gewesen, aber er habe nichts andres tun 
können, als die Republik zu akzeptieren. Auch sei es nur unter der Re- 
publik möglich gewesen, das zustande zu bringen, was in jener Zeit habe 
getan werden müssen. 
An dem Ausfall der Wahlen zweifelt Thiers nicht. Er ist überzeugt, 
daß die Majorität republikanisch sein und zwischen 360 und 400 Stimmen 
zählen wird. Spuller, der mit Gambetta die republikanische Wahlbewegung 
leitet, rechne sogar auf 418 republikanische Stimmen. Herr Thiers sagt, 
er würde die Präsidentschaft nur ungern wieder übernehmen, aber er könne 
sich dem Dienste des Landes nicht entziehen, auch wenn es ihn das Leben 
koste. Er fragte, wie sein Wiedereintritt in Deutschland aufgenommen
	        
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