220 Botschafter in Paris (1874 bis 1885)
Aber auch ein feindliches Oesterreich sei in jener Allianz nicht zu fürchten,
solange wir Rußland für uns haben. Im vergangenen Sommer habe
Gortschakow darauf hingearbeitet, uns mit Oesterreich zu brouillieren und
Deutschland einen wenn auch nur diplomatischen Schec beizubringen. Das
sei ihm nicht gelungen.
Der Reichskanzler meint, daß Rußland keinen Frieden schließen könne,
ehe es sein militärisches Prestige wiedergewonnen habe. Sei es genötigt,
nach einer zweiten unglücklichen Kampagne Frieden zu schließen, so könnten
innere Unruhen entstehen, und Rußland werde dann nach einigen Jahren
wieder, etwa mit Oesterreich, Krieg anfangen müssen. Er hält es für
möglich, daß Rußland doch noch siegt, wenn es die Sache nur etwas ge-
schickter anfange. Die jetzige Niederlage verdanke es der schlechten Führung.
Bei Tisch sprachen wir über die französischen Dinge. Thiers' Tod
bedauert Bismarck. Wir tranken auf seine Aufforderung ein stilles Glas
zu seinem Andenken. Von Gontaut sagte der Fürst, es sei unbegreiflich,
wie man ihn, der mit Polen, Ultramontanen und andern Reichsfeinden
gegen die Reichsregierung intrigiere und konspiriere, in Berlin lassen
könne. Er würde sich für die Anwesenheit des Duc de Chartres bei den
Manövern erklärt haben, wenn nicht Gontaut in Berlin wäre. So aber
habe er befürchten müssen, daß die Kaiserin die Anwesenheit des Prinzen
benutze, um ihr Spiel weiterzuführen.
Abends saß ich noch lange beim Fürsten. Er erzählte vom Besuche
des Grafen von Paris beim Kronprinzen, und daß dieser sehr für den
Grafen gewonnen sei. Mir schien der Reichskanzler milder gegenüber den
Orleans gestimmt zu sein. Jedenfalls zieht er sie den Bonapartisten vor,
die er für gefährlich hält, da sie Krieg führen müßten. Dem Kanzler liegt
sehr an der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zu Oesterreich. Die Ein-
mischung Oesterreichs und Englands in den Krieg hält er für bedenklich.
Er sagt übrigens, Oesterreich sei bereit gewesen, in Bosnien einzurücken,
wenn die Russen gesiegt hätten. Bismarcks Plan ist jetzt, England und
Rußland zu versöhnen und dahin zu trachten, daß sie sich im Orient auf
Kosten der Türkei verständigen. Frankreich will er bei allen Manipulationen
der hohen Politik außer Betracht lassen und jede Annäherung vermeiden.
6. September.
Heute, vor meiner Abreise, als ich bei der Fürstin war, kam der
Reichskanzler und lud mich ein, mit ihm einen Spaziergang zu machen.
Ich hatte nur noch eine halbe Stunde und ließ den Wagen warten. Wir
gingen auf die Kaiserpromenade. Zuerst sprachen wir noch von den fran-
zösischen Wahlen, und Bismarck sagte, es werde nötig sein, während der
Wahlen noch etwas bedrohlich aufzutreten. Das brauche aber nicht in