Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 221
Paris zu geschehen, sondern werde von Berlin aus in Szene gesetzt werden.
Der Kaiser mache die Durchführung der Politik gegenüber Frankreich schwer,
da er sich durch Gontaut immer bestimmen lasse, auf die „Solidarität der
konservativen Interessen", die alte Arnimsche Politik, Wert zu legen, statt
darauf zu sehen, daß Frankreich allianzunfähig und uneinig bleibe. Er
behauptete dann, die Metzer Reise Gontauts # sei durch die Kaiserin ver-
anlaßt worden, und der Kaiser sei nicht ohne Anteil an dem 16. Mai,
weil er in obigem Sinne mit Gontaut gesprochen habe. Der Reichskanzler
sagte mir, Bleichröder bekomme Rothschildsche Nachrichten aus Paris, die
ihm mitgeteilt würden und die seinerzeit den 16. Mai voraussagten. Der
Reichskanzler sagte, es sei eine starke Zumutung, ihn glauben machen zu
wollen, daß die Kaiserin nicht Politik treibe und nicht gegen ihn agitiere.
Er finde die Kaiserin seit fünfzehn Jahren überall als Gegnerin. Sie
lasse sich Korrespondenzen schreiben, die sie dann dem Kaiser vorlese, und
zwar beim Frühstück, und immer nach dem Frühstück erhalte er un-
angenehme Handbillette des Kaisers. Der Kaiser sei im Prinzip mit der
Kirchenpolitik einverstanden, im einzelnen mache er Schwierigkeiten, ver-
anlaßt durch die Einmischung der Kaiserin. Schleinitz, Goltz, Nesselrode
und andre arbeiteten gegen ihn mit der Kaiserin. Er könne es sich nicht
gefallen lassen, daß man seine Feinde auszeichne. So habe Nesselrode
einen Orden bekommen, obgleich er sich an der „Reichsglocke"“ beteiligt habe.
Wenn das nicht aufhöre, werde er abgehen und dann kein Blatt vor den
Mund nehmen. Alles, was der Reichsregierung feindlich sei, werde von
der Kaiserin unterstützt. Solange Gontaut in Berlin sei, bestehe eine Art
Gegenministerium, mit dem er zu kämpfen habe. Von der Kronprinzessin
sagt Bismarck, sie mische sich nicht in Politik, wenn sie auch Vergnügen
daran finde, oppositionelle Elemente zu sich einzuladen. Wir trennten uns
erst, als ich in den Wagen stieg.
Ich fuhr über Lend nach Bischofshofen, Steinach, soupierte in Fried-
stein") und kam gegen 12 Uhr nach Aussee.
Berlin, 22. Oktober 1877.
Heute hatte ich Audienz bei dem Kaiser. Er kam sofort auf die fran-
zösischen Zustände zu sprechen, und ich konnte bemerken, daß er unter
einem fremden Einflusse stand, in seinem Urteil von fremden und fremd-
artigen Einflüssen geleitet war. Er rühmte die Konsequenz und die Energie
des Marschalls, lobte dessen Bestreben, dem Radikalismus entgegenzutreten,
1) Mac Mahon hatte am 7. Mai Gontaut, der gerade in Paris war, zur
Begrüßung Kaiser Wilhelms in des Marschalls Namen nach Metz geschickt. Kaiser
Wilhelm verweilte vom 1. bis 9. Mai im Reichslande.
2) Schloß der Prinzessin Konstantin Hohenlohe.