Full text: Denkwürdigkeiten des Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Zweiter Band. (2)

224 Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 
Nubar sagt, die Not sei in Konstantinopel sehr groß und das Volk 
hungere. Die Türken wünschten den Frieden. Er sah aber sehr wohl 
ein, daß dazu wenig Hoffnung sei. Nachher fuhr ich zum Marschall, den 
ich nicht traf. Lyons, der zu Hause war, behauptet, es habe schon eine 
gewisse Döôötente in der gegenseitigen Erbitterung stattgefunden. Vor acht 
Tagen habe man im Elysée vom Staatsstreich und im republikanischen 
Lager von Anklage des Marschalls gesprochen. Er und in derselben Weise 
Wimpffen, den ich nachher aufsuchte, hielten einen Staatsstreich für un- 
möglich und eine Verständigung oder den Rücktritt des Marschalls für 
unausbleiblich. Fürst Orlow dagegen hält es nicht für unmöglich, daß 
sich der Marschall zu extremen Maßregeln treiben lassen werde. Man 
könne bei einem Manne wie der Marschall gar nicht wissen, wozu der 
sich treiben lasse. Decazes fand ich nicht zu Hause. Der Nunzius lamentierte 
bloß, ohne etwas Besonderes zu sagen. 
Wimpffen behauptet, was ich für übertrieben halte, daß die meisten 
derjenigen Konservativen, die seinerzeit dem 16. Mai zugestimmt hätten, 
nun zur Versöhnung rieten. Man sagt mir, Decazes, Broglie und Berthaut 
werden abgehen. Wenn das der Fall ist, so beweist dies, daß das Elysée 
über irgendeiner kolossalen Dummheit brütet. H., 1) dem ich heute Abend 
begegnete, sagte mir, er sehe sehr schwarz in die Zukunft. Auch im Elysée 
und im Ministerium sei man sehr perplex. Ich erwiderte, daß es auf- 
fallend sei, wenn man sich jetzt über die Folgen des 16. Mai wundere, 
die doch vom ersten Tage an vorauszusehen waren. Er meinte, die Re- 
gierung habe sicher auf eine konservative Mehrheit gerechnet. Fourtou 
habe es noch am letzten Tage versichert. Ich sagte ferner, es sei doch 
ganz einfach, aus der Situation herauszukommen, da der Marschall sich 
nur auf den Standpunkt zu stellen brauche, er sei konstitutioneller Monarch 
und lehne die Verantwortung für das Geschehene ab und schiebe es den 
abtretenden Ministern zu. Ja, sagte H., wenn nur das fatale Manifest7) 
nicht wäre! Der Marschall hält sich für gebunden gegenüber den Präfekten 
und andern Beamten, denen er nicht aufgehört hat zu versichern, daß er 
sie nicht verlassen werde. Jetzt sei er durch seine Ehre gebunden, sie nicht 
zu verlassen. Dagegen, wendete ich ein, hilft es dem Marschall und seinen 
Präfekten gar nichts, wenn er jetzt ihretwegen einen Coup d'Etat macht. 
Nur daß er und die Präfekten dann zusammen in die Brüche gehen und 
Frankreich mit. Es ist doch, sagte ich, nichts andres, als der Präfekten 
  
1) Vermutlich ist der Sekretär des Präsidenten Vicomte d'Harcourt gemeint. 
2) Das Wahlmanifest Mac Mahons vom 19. September, in welchem der 
Marschall seine Verdienste hervorhob, zum Kampfe gegen den Radikalismus auf- 
forderte, die Aufstellung offizieller Kandidaturen ankündigte und den ihm ergebenen 
Beamten seinen Schutz zusicherte.
	        
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