16 Im Reichstage (1870 bis 1874)
Tivoli, 9. August 1870.
Ich konnte das Treiben in Rom nicht mehr ansehen. Die Lage des
Kirchenstaats hängt nuni) einzig von Italien ab, und bis jetzt ist alles
ruhig. Prognostika werden gestellt und Projekte gemacht. Ich baue auf
Gott, daß er seine Kirche schützen wird. Sollte, wie viele Furchtsame
glauben, wirklich Gefahr sein, so wird das Unglück eine Strafe Gottes
sein, und ich habe dann das gleiche Schicksal mit den andern.
Was den bewußten Artikel betrifft,:) so bin ich darin aus Versehen
auch mit genannt. Ich habe den Heiligen Vater seit dem 21. Juni nicht
mehr gesehen, noch weniger ihm geschrieben, ich konnte also Seiner Heilig-
keit nichts manifestieren, weder „di mente“ noch „di cuore“. Ich habe
auch, was speziell die Infallibilität betrifft, immer daran festgehalten, was
man mir in der Schule von San Apollinare schon vor zweiundzwanzig
Jahren gesagt hat: „Papam ex cathedra loquentem esse infallibilem.“
Weiter weiß ich aber von Erklärungen, was das sogenannte Konzil be-
trifft, von meiner Seite gar nichts, und bedurfte es meiner Erklärungen
gar nicht. Ich habe es vermieden, über das Konzil und seine Gültigkeit
zu sprechen, und halte nur meine Ansicht über die Unfehlbarkeit fest.
Nach dem 18. Juli erhielt ich von Monsignore Cenni, Privatsekretär des
Papstes, und Dir wohlbekannt, einem alten Freunde von mir, ein paar
Zeilen, worin er mir dankt im Namen des Papstes für eine Spitze, die
ich dem Papste geschickt hatte. Er sagt darin: „Voleva dir Le queste
parole in San Pietro ül giorno del 18. Luglio sperando trovare Vostra
Eminenza, ma rimasi deluso.“ Darauf schrieb ich ihm ein paar Worte
des Dankes für seinen Brief und sagte: „Aveva ragione d’'aspettarmi in
San Pietro quel giorno, ma era troppo afflitto ed adolorato per causa
che sarebbe troppo lungo a raccontare e poi le forze fisiche pure non
mi assisterano. Del resto tutto il mondo sa, ch’ io ho creduto, credo
e col adjuto di Dio crederd sempre nell’ Infallibilitä del Papa."
Weiter nichts. Hier ist nun doch von Konzil und dogmatischer Konstitution
keine Rede, und noch weniger habe ich dies dem Papste geschrieben, sondern
dem Monsignore Cenni, ohne den geringsten Auftrag, es Seiner Heilig-
keit mitzuteilen. Solange ich nicht überzeugt bin, daß das Konzil gültig
ist, so lange kann ich nicht mehr tun, da ich doch auch einmal Rechenschaft
vor Gott abzulegen habe und da nicht in eine unangenehme Lage kommen
möchte.
1) Nach dem Rückzuge der französischen Besatzung von Rom.
2) Ein Artikel der „Unita cattolica“ vom 27. Juli meldete, daß der Kardinal
Prinz Hohenlohe und drei andre Kardinäle — Schwarzenberg, Rauscher und
Mathieu —, die in der Konzilssitzung vom 18. Juli gefehlt hatten, dem Papste per-
sönlich ihre volle und freiwillige Zustimmung zu dem Beschlusse erklärt hätten.